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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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aber nicht ihr Vater.‹
    Der Falke zischte böse: ›Du schlauer Winzling!‹ keifte er. ›Woher weißt du das alles?‹
    ›Man kommt nicht nur auf Flügeln in der Weltgeschichte herum‹, sagte die Maus. ›Und außerdem haben wir eine Vorliebe für Geschichten und hören aufmerksam zu, wenn einer etwas zu erzählen weiß. Wie lautet das zweite Rätsel?‹
    ›Das bekommst du nie heraus!‹ sagte der Falke. ›Gib acht: Der Vater spricht mit Ziegen, die Mutter mit Fischen – kein Wunder, daß ihr Kind stumm ist. Kannst du das lösen?‹
    ›Nichts leichter als das‹, sagte die Maus vergnügt. ›Du meinst das Mädchen Urla, das nicht reden kann wie die Menschen, obwohl seine Mutter sogar mit Fischen spricht. Hängt das vielleicht damit zusammen, daß Urlas Vater noch Bocksfüße hatte, als er mit Arnilukka schlief?‹
    Der Falke kreischte zornig, als er merkte, daß er mehr verraten hatte, als er gewollt hatte, und war drauf und dran, der Maus den Garaus zu machen. Doch die rief: ›Willst du dir nachsagen lassen, daß du zu feige warst, ein Rätselspiel zu Ende zu führen? Sag mir das dritte, und dann bring mich um, wenn ich keine Antwort weiß!‹
    ›Das wird mir ein ganz besonderes Vergnügen sein‹, sagte der Falke. ›Und antworte schnell, denn meine Geduld ist erschöpft! Paß auf:
    Das eine schafft mir eine weiße Haut,
    das andre dem Knecht ein zottiges Fell,
    und beides muß wiedergefunden sein,
    zu lösen die Zunge dem stummen Kind.
    Was ist das? Sag’s rasch!‹
    ›Kette und Ring!‹ rief die Maus sofort, und man konnte dem Falken ansehen, daß sie das Richtige getroffen hatte. Er sträubte sein Gefieder und hob den krummen Schnabel, um der Maus den Rest zu geben, aber da hatte er nicht mit mir gerechnet. Eine so tüchtige Maus wollte ich nicht im Stich lassen, und so schwang ich mich schreiend hinunter von meinem Ast und schoß so dicht über den Falken hinweg, daß ich seine Kopffedern streifte. Er erschrak derart, daß er die Maus fahren ließ, und ich konnte gerade noch sehen, wie sie im Buschwerk verschwand. Bis der Falke begriffen hatte, wer ihm da in die Quere gekommen war, hatte ich mich schön hoch hinauf in den Himmel geschwungen und flog rasch nach Norden auf die Berge zu; denn auf einen Kampf wollte ich es denn doch nicht ankommen lassen. Nun macht euch selber einen Reim darauf, wie man das Mädchen von dem Zauber erlösen könnte.«
    »Kette und Ring? Ring und Kette?« riefen die anderen Dohlen. »Was für eine Kette? Was für ein Ring?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Weißfeder, aber Lauscher, der sich das alles angehört hatte, wußte genau, welche Kette und welcher Ring gemeint waren. Er wußte aber auch, daß dieses Geschmeide irgendwo in der Tiefe des Sees unterhalb der großen Felswand lag, wo es keiner je würde wiederfinden können. Wirklich keiner? Er dachte noch darüber nach, als die Dohlen längst wieder fortgeflogen waren, und auch in der Nacht, als er schlaflos auf seinem Bett lag, ließ ihn dieser Gedanke nicht los: Er war der einzige, der wußte, wo Kette und Ring zu suchen waren, und damit auch der einzige, der seinem Kind helfen konnte. Das Wiesel war zwar auch dabei gewesen, als er beides in den See geworfen hatte, aber Nadelzahn war wohl längst zu seinen Vätern gegangen, wie er sich auszudrücken beliebte. Nach und nach formte sich in seiner Vorstellung ein Plan, und als draußen schon der Morgen zu grauen begann, hatte Lauscher einen Entschluß gefaßt und legte sich noch ein bißchen aufs Ohr, bis Kiwitt kam und ihn mit dem Morgenessen weckte.
    Er löffelte in Ruhe die aufgeweichten Brotbrocken aus der Ziegenmilch, trank den Rest aus der Holzschale, die er selbst gedrechselt hatte, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sagte zu der alten Frau, die inzwischen seine Stube in Ordnung brachte: »Kannst du mir heute vormittag Schneefink herüberschicken? Ich muß noch etwas mit ihm besprechen wegen des Festes, das übermorgen stattfinden soll. Schwingshackl soll diesmal eine besonders schöne Musik von zwei Flöten geboten bekommen.«
    »Als ob der dir je zugehört hätte!« sagte Kiwitt, aber sie versprach, dem Jungen Bescheid zu sagen. Sie hatte die Hütte noch nicht lange verlassen, da kam Schneefink schon angestürzt. »Großmutter hat gesagt, ich darf mit dir zum Fest aufspielen!« rief er schon unter der Tür. »Ist das wahr?«
    »Sicher«, sagte Lauscher. »Übermorgen sollst du allen im Dorf zeigen, was du gelernt hast. Aber das ist nicht so

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