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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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hatte, lagen lallend unter den Bänken.
    »Jetzt spielen wir ihnen eine sanfte Schlummermusik«, sagte Lauscher und griff nach seiner Flöte. Er begann mit einem leisen Ton, den er immer stärker anschwellen ließ, bis der bebende Klang den ganzen Talkessel zu füllen schien und die letzten Schreihälse verstummen ließ. Als keine andere Stimme mehr zu vernehmen war, ließ Lauscher diesen Ton wieder allmählich abklingen und nahm ihn zum Ausgangspunkt einer sanft schwingenden Melodie, wie sie Mütter an den Wiegen ihrer Kinder zu singen pflegen. Schneefink hatte die Art des Liedes gleich erfaßt und begleitete es in weichen, süßen Harmonien, und so wiederholten sie immer aufs neue diese gleichförmige, einschläfernde Tonfolge, bei der einmal Lauscher und dann wieder Schneefink die Führung übernahm. Und während sie spielten, stieg langsam die Nacht über die Berge im Osten und breitete sich über den Himmel aus, bis sie die jenseitigen Gipfel erreichte. Im Dunkel sah man einzelne Gestalten zu ihren Hütten torkeln, andere blieben schnarchend zwischen umgeworfenen Bänken am Boden liegen. Der Zwiegesang der Flöten schwang noch eine Zeitlang leise über dem schlafenden Dorf, wurde schwächer und schwächer und verklang schließlich in einem lang angehaltenen, kaum noch hörbaren Ton.
    Lauscher setzte seine Flöte ab und flüsterte: »Jetzt können wir uns an die Arbeit machen, Schneefink.« Als erstes zerlegten sie die Drechselbank, und der Junge trug die Teile hinaus in die Nacht. Dann holte er das übrige Werkzeug, den Flötensack und die wenigen Dinge, die Lauscher sonst noch besaß. »Jetzt bringe ich dir dein Pferd«, sagte er, als er die Hütte zum letzten Mal verließ. Gleich darauf führte er das Pferd am Halfter vor die Hütte.
    Lauscher hatte ihn erst im letzten Augenblick kommen gehört, denn Schneefink hatte die Hufe des Pferdes mit Fetzen umwickelt. »Bring es dicht vor die Tür, damit es unter dem Vordach zu stehen kommt«, sagte Lauscher, und als der Junge das getan hatte, stieg Lauscher in den Sattel. »Jetzt binde mir die Füße fest unter dem Bauch des Pferdes zusammen«, sagte er. Schneefink hatte schon einen Lederriemen dafür mitgebracht, und als er Lauschers Füße gefesselt hatte, ließ dieser sich auch noch die Hände auf dem Rücken binden. »Nun den Knebel«, sagte er dann. »Aber binde ein Tuch fest darüber, damit ich ihn nicht herausstoßen kann. Und sorge dafür, daß wir rasch vorankommen! Ich möchte das erste Stück Wegs möglichst rasch hinter mich bringen.«
    Nachdem Schneefink all diese Anweisungen gewissenhaft ausgeführt hatte, packte er Lauschers Pferd am Zügel und zog es hinaus ins Freie. Sobald er kein Dach mehr über dem Kopf hatte, stürzte die Angst aus dem schwarzen Nachthimmel auf Lauschers Herz herab wie ein Felsblock, und er hätte unweigerlich aufgeschrien, wenn der Knebel nicht seinen Mund verschlossen hätte. Schneefink lief mit dem Pferd rasch um die Hütte und ein kleines Stück auf den Berghang dahinter zu, während Lauscher schon den Einfall zu verfluchen begann, der ihn dazu gebracht hatte, sich dieser unerträglichen Qual auszusetzen. Er konnte gerade noch erkennen, wie Schneefink hinter einen haushohen Felsblock einschwenkte, in dessen Schutz er zwei weitere Pferde versteckt hatte; das eine war ein Packpferd mit hoch beladenem Tragsattel, auf das andere schwang sich der Junge rasch hinauf, faßte nach den Zügeln der anderen Pferde und ritt dann mit ihnen in scharfem Trab nach Süden davon.
    Lauscher hätte später nicht sagen können, wie lange sie so durch die Dunkelheit zwischen schroffen Felswänden dahingeritten waren. Immer heftiger trafen ihn die Schläge seiner Angst, so daß sich ihm die Brust zusammenkrampfte, als presse ihm eine unsichtbare Faust das Herz zusammen. Zeitweise schwand ihm das Bewußtsein, bis ein Fehltritt seines Pferdes ihn wieder aufrüttelte und von neuem der Folter des nackten, von eisig funkelnden Sternen übersäten Himmels aussetzte. Endlich spürte er, wie der Weg steiler abwärts zu führen begann, rechts und links huschten schon die Schatten einzelner, von Stürmen zerrissener Wetterfichten und Zirben vorüber, schlossen sich dichter zu Gruppen zusammen, die immer näher aneinanderrückten, und dann tauchte der Pfad hinab in den Hochwald. Schon auf der letzten Strecke hatte Lauschers Beklemmung merklich nachgelassen, und als er endlich das dichte Dach der Baumkronen über sich wußte, nickte er seinem Begleiter zu und

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