Stein und Flöte
gewesen, die Eroberung von Barleboog einzuleiten, und ließ die anderen gar nicht mehr zu Worte kommen. »Schaut her«, sagte er und stellte den Weinkrug mitten auf den Tisch, »das ist das Schloß von Barleboog.« Dann tauchte er den Zeigefinger in den Wein und zog auf der schrundigen Tischplatte eine feuchte Linie vom Krug bis zu seinem Becher. »So verläuft der Fluß von Barleboog, der hier in Draglop, wo mein Becher steht, in den anderen Fluß mündet.« Hinter den Krug rückte er schließlich den Brotkorb, der das Gebirge darstellen sollte. »Die erste Gruppe wird Lauro durch die Wälder links des Flusses bis ins Gebirge führen. Sie werden das Tal von Barleboog umgehen und oben in den Bergen die Fronarbeiter, die dort für Gisa nach Gold und Edelsteinen graben müssen, ein wenig aufzuheitern versuchen.«
»Da wäre ich gerne dabei«, sagte Krautfaß, »denn im Wald weiß ich Bescheid.«
»Wenn du mit dieser Gruppe gehst, mache ich mir keine Sorgen«, sagte Rauli. »Mit deiner Art von Späßen wirst du selbst Gisas zottige Knechte aus der Fassung bringen. Ihr werdet dann vom Gebirge her hinunter nach Barleboog ziehen. Wir anderen nehmen mit der übrigen Zirkustruppe den direkten Weg und lassen uns Zeit. Entlang des Flusses gibt es genug Dörfer und Gehöfte, in denen wir unsere Späße treiben können. Beim Schloß treffen wir dann wieder zusammen.«
Lauscher hörte zu, wie Rauli diesen merkwürdigen Feldzug entwarf, und fragte sich, was Gisa wohl gegen diesen buntscheckigen Heerhaufen unternehmen würde. Wegen ihrer wölfischen Dienstleute schien sich Rauli wenig Sorgen zu machen. Überschätzte er die Macht der Liedersänger und Spaßmacher? War er ein kindischer Alter, der nur noch in der Welt seiner Lieder lebte und nichts von den Gefahren ahnte, in die er sich begab? Was vermochten diese lustigen, leichtherzigen Spielleute gegen den blutigen Ernst der zottigen Knechte? Lauscher merkte, daß er in ein Spiel geraten war, dessen Regeln er nicht durchschaute. Er blickte in das hagere Gesicht des alten Sängers, der hier gleichmütig mit dem Trinkgeschirr hantierte, als würde alles schon auf dieser abgebrauchten Tischplatte entschieden. Jeder hier schien das zu glauben. Auch Barlo. Der Stumme saß am Tisch, regte sich kaum, gab mit keiner Geste seine Teilnahme an diesem Spiel zu verstehen, und doch schien er der Mittelpunkt zu sein, der Mann, um dessentwillen das alles veranstaltet wurde. Das war kein davongelaufener Pferdeknecht, der da saß, kein armseliger Schafhirte und auch kein fahrender Spielmann, der dankbar sein muß, wenn ihn ein Bauer nachts im Stroh schlafen läßt. Wie ein König saß er da, wie ein Herr, der die Vorschläge seiner Ratgeber in Erwägung zieht. Jetzt nickte er Rauli zu, und das hieß: So wird es gemacht. Wer ist dieser Barlo? fragte sich Lauscher. Nun zog er im dritten Jahr mit ihm durch das Land, aber er wußte es noch immer nicht.
Am nächsten Morgen brachen sie auf. Trotz des Marktgetriebes blieben die Leute auf den Straßen stehen und begafften diesen abenteuerlichen Zug; denn dergleichen hatte noch keiner je gesehen: Voran ritt Barlo und flötete ein Lied, das alle aus den Häusern trieb, die noch bei ihrem Frühstück gesessen hatten. Die anderen Musikanten nahmen die Melodie auf, und bald sangen viele den Text mit; denn Barlo beherrschte seine Sprache inzwischen auf eine Weise, daß jeder den Sinn seines Spiels verstehen konnte. Das Lied lautete so:
Ihr Narren, erwacht,
blödelt und lacht!
Jeder Spaß ist erlaubt,
und seid überhaupt
außer Rand und Band,
denn Barlo reitet jetzt durch das Land.
Fiedelt und singt,
trommelt und springt,
löckt jede Maus
aus dem Loch heraus!
Pfeift, Mäuselein!
Dann ziehen die Wölfe die Schwänze ein.
Zwischen den Sängern und Spielern schlugen Akrobaten ihre Saltos, liefen auf den Händen, und andere jonglierten mit Bällen und Reifen. Die Possenreißer nahmen die neugierigen Bürger am Straßenrand aufs Korn und trieben ihre Späße mit ihnen. Wo am lautesten gelacht wurde, sah man immer wieder den struppigen Kopf von Krautfaß aus der Menge ragen.
Lauscher trabte auf seinem Esel neben Barlo an der Spitze des Zuges und versuchte sich in die Rolle eines Paladins hineinzudenken, der an der Seite seines Herzogs in die Schlacht reitet. Diese Vorstellung wurde jedoch empfindlich gestört durch das wenig heldische Gebaren der fahrenden Gesellen, die es offenkundig darauf anlegten, diesen Auszug zu einer besonderen Art von
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