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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Volksbelustigung zu machen. Kein Mensch in dieser Stadt schien Sinn zu haben für den Ernst dieses Unternehmens – die Teilnehmer nicht, die sich auf jede nur denkbare Weise zum Narren machten, und auch nicht die Zuschauer, die das Ganze wohl für einen Mummenschanz hielten, wie er mancherorts zu Frühlingsbeginn in den Straßen getrieben wurde.
    Aus den Häusern rechts und links der Straße kamen immer mehr Menschen, viele von ihnen waren grotesk verkleidet und hatten Masken vors Gesicht gebunden. In wilden Sprüngen tanzten Hexen dem Zug voran, lärmten mit hölzernen Klappern und schreckten die Zuschauer, die schreiend auseinanderstoben, wenn die warzigen Fratzen auf sie zufuhren. Andere hatten ihre bunten Flittergewänder über und über mit blitzenden Spiegeln benäht, starrten aus den leeren Augenlöchern ihrer kalkweißen Larven in die Menge und trieben mit schellenbesetzten Stäben die Hexen vor sich her. Narren mischten sich in den Zug, ließen die Glöckchen an ihren Zipfelkappen klingen und schlugen mit langen Pritschen auf jeden ein, der noch ein ernstes Gesicht machte oder nicht in Barlos Lied einstimmen wollte, dessen Melodie immer wilder und greller das Rasseln und Klirren, Schreien und Pfeifen übertönte.
    Das Gedränge vor ihm wurde so dicht, daß Lauscher seinen Esel anhalten mußte. Eine der Hexen tauchte unter Jalfs Hals hindurch, reckte sich dicht vor Lauscher auf und grinste ihm ins Gesicht, die verzerrten Lippen entblößten spitze Reißzähne, und hinter den ausgeschnittenen Blicklöchern flackerten gelbliche Augen. »Warum lachst du nicht, Lauscher?« zischte die Hexe. »Graut dir vor diesem Ritt? Dann bist du klüger als all diese Narren!«
    Lauscher schreckte zurück vor der grotesken Scheußlichkeit der Maske, und ehe er sich wieder fassen konnte, war schon einer der weißgesichtigen Spiegelträger herangesprungen und schlug der Hexe seinen Stab um die Ohren, daß die Schellen klirrten. Zugleich öffnete sich eine Gasse zwischen den Gestalten, und Lauscher konnte weiterreiten. Barlo hatte während dieser vorübergehenden Stockung nicht aufgehört zu flöten. Er blickte über die Köpfe der Maskierten hinweg in die Ferne und schien in Gedanken schon weit voran zu sein.
    Als sie die letzten Häuser von Draglop hinter sich gelassen hatten, blieben auch die meisten der vermummten Gestalten zurück. Es gab aber auch ein paar, die den Zug weiter begleiteten und offenbar dabei sein wollten, wenn dem Unwesen in Barleboog ein Ende bereitet wurde.
    Barlo schwenkte ohne zu zögern auf einen Weg ein, der am Ufer des Flusses von Barleboog entlangführte. Je weiter sie kamen, desto dichter waren die alten Wagenspuren im lehmigen Boden von Gras überwachsen. Diese Richtung schlug wohl nur selten ein Fuhrwerk ein. Hie und da begegnete ihnen ein Bauer, der dann am Wegrand stehenblieb und kopfschüttelnd den merkwürdigen Zug bestaunte. Sie kamen nur langsam voran, denn die wenigsten der Fahrenden waren beritten. Gegen Abend des dritten Tages erreichten sie ein Dorf, in dem sie über Nacht bleiben wollten; denn nur eine Wegstunde oberhalb der letzten Häuser begannen die düsteren Wälder von Barleboog, die hier an beiden Ufern bis an den Fluß reichten.
    Schon in den Weilern, in denen sie während der letzten Tage gerastet hatten, war es Lauscher so vorgekommen, als wären die Menschen, die dort wohnten, von Mal zu Mal einsilbiger und verschlossener gewesen. Hier in dem Dorf am Wald war das nicht mehr zu übersehen. Als Barlo und Lauscher an der Spitze des Zuges in die Dorfstraße einritten, liefen ein paar Weiber und Kinder zu ihren Hütten und schlugen die Türen hinter sich zu. Lauscher fiel auf, wie verwahrlost alles aussah: Von den schmutziggrauen Hauswänden bröckelte der Lehm, das Stroh war stellenweise von den windschiefen Dächern gerutscht, und der Himmel schaute durch die nackten Dachsparren. Manche Hütten schienen seit langem unbewohnt zu sein, zerbrochene Läden hingen schief an leeren Fensterlöchern.
    Auf dem Anger inmitten des Dorfes gab Barlo das Zeichen zum Halten und stieg ab. Nach und nach trottete der ganze Haufen heran. Wer ein Reittier hatte, sattelte es ab, führte es zum Tränken an den Dorfteich und ließ es dann auf dem Anger weiden. Die Fußgänger setzten sich ins Gras, zogen die Schuhe aus und streckten ihre müden Beine. Ein Fiedler stimmte seine Geige und fing an, Barlos Lied zu spielen, als könne er damit auch hier die Leute aus den Häusern locken.
    Bald sangen manche

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