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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Sylvia über eines ihrer Experimente sprechen, aber er sieht, daß sie noch eine Stunde oder länger mit dem Spiel beschäftigt sein wird. Das Gespräch hat Zeit. Niemand beeilt sich in diesem Schiff. Sie haben genug Zeit für alles: ein Leben, vielleicht, wenn kein bewohnbarer Planet zu finden ist. Das Universum gehört ihnen. Er betrachtet das Brett und versucht Sylvias nächsten Zug vorauszuahnen. Leise Schritte nähern sich von hinten. Der Jahres-Kapitän dreht sich um. Noelle, die Schiffs-Kommunikatorin, kommt heran. Sie ist ein schlankes, blindes Mädchen mit langen schwarzen Haaren, und gewöhnlich geht sie ohne Hilfe durch die Korridore: keine Sensoren für sie, nicht einmal ein Stock. Gelegentlich stolpert sie, aber meist ist ihr Gleichgewichtssinn ausgezeichnet, und ihr Gefühl für die Wahrnehmung von Hindernissen ist überragend. Es ist vielleicht eine Art Arroganz bei den Blinden, Hilfe abzulehnen. Aber es ist auch eine Art verzweifelter Poesie.
    Als sie auf ihn zukommt, sagt sie: »Guten Mo rgen, JahresKapitän.«
    Noelle ist unfehlbar bei solcher Identifizierung. Sie behauptet, Angehörige der Expedition durch die winzigen charakteristischen Geräusche unterscheiden zu können, die sie hervorbringen: ihre Atemweise, ihr Husten, das Rascheln ihrer Kleidung. Unter den anderen herrscht einige Skepsis. Viele an Bord des Schiffes glauben, daß Noelle in Wirklichkeit ihre Gedanken liest. Sie bestreitet nicht, daß sie die Gabe der Telepathie besitzt, aber sie beharrt darauf, daß das einzige Gehirn, zu dem sie direkten Zugang hat, das ihrer Zwillingsschwester Yvonne ist, fern auf der Erde.
    Er wendet sich ihr zu. Seine Augen richten sich auf die ihren: eine automatische Handlung, eine Gewohnheit. Die ihren, schwarz und klar, starren beunruhigend durch seine Stirn. Er sagt: »In etwa zwei Stunden habe ich einen Bericht zum Durchgeben für Sie.«
    »Ich bin jederzeit bereit.« Sie lächelt schwach. Sie lauscht einen Augenblick dem Klacken der Go-Steine. »Drei Spiele?« fragt sie.
    »Ja.«
    »Wie seltsam, daß das Spiel sie nach dieser Zeit immer noch nicht losläßt.«
    »Sein Zugriff ist kraftvoll«, sagte der Jahres-Kapitän. »Es muß so sein. Wie schön ist es, sich einem Spiel so hinz ugeben.«
    »Ich weiß nicht. Go-Spielen nimmt viel wertvolle Zeit in Anspruch.«
    »Zeit?« Noelle lacht. »Was kann man mit der Zeit anderes tun, als sie zu verbrauchen?« Nach einem Augenblick fügt sie hinzu: »Ist es ein schweres Spiel?«
    »Die Regeln sind ganz einfach. Die Anwendung der Regeln ist eine ganz andere Sache. Es ist ein tieferes und komplizierteres Spiel als Schach, glaube ich.«
    Ihre leeren Augen wandern über sein Gesicht und haften plötzlich an den seinen.
    »Wie lange würde ich brauchen, um es zu lernen?«
    »Sie?«
    »Warum nicht? Ich brauche auch Zerstreuung, Jahres Kapitän.«
    »Das Brett hat Hunderte von Schnittpunkten. Gezogen werden darf überall. Die Stellungen sind kompliziert und verändern sich fortwährend. Jemand, der nicht sehen kann –«
    »Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet«, sagt Noelle. »Ich kann mir das Brett vorstellen und im Verlauf des Spiels die notwendigen Korrekturen vornehmen. Sie brauchen mir nur zu sagen, wohin Sie Ihre Steine legen. Und meine Hand führen, nehme ich an, wenn ich ziehe.«
    »Ich bezweifle, ob das geht, Noelle.«
    »Bringen Sie es mir trotzdem bei?«
    Das Schiff ist glatt und graziös, es verjüngt sich: eine Silberpatrone, mit einer Geschwindigkeit durch das Universum fliegend, die zu diesem Zeitpunkt über eine Million Kilometer in der Sekunde beträgt. Nein. Das Schiff ist in Wirklichkeit gar keine Patrone, sondern etwas eher Gedrungenes, Plumpes, so plump wie jedes gewöhnliche Raumfahrzeug, mit einem verschlungenen, spinnennetzartigen Aufbau von Extensorarmen, Antennen, Beobachtungsauslegern und Ähnlichem. Wegen der unfaßbaren Geschwindigkeit sieht der Jahres-Kapitän es trotzdem als glatt, verjüngt und elegant. Es trägt ihn ohne Reibung durch die riesige, leere graue Hülle des Nicht-Raums, bei einer Geschwindigkeit, die größer als die des Lichts ist. Er weiß es besser, aber er ist unfähig, dieses stromlinienförmige Bild aus seinem Denken zu verbannen. Die Expedition ist schon sechzehn Lichtjahre von der Erde entfernt. Das zu erfassen, ist nicht leicht für ihn. Er spürt die Wucht, aber nicht den wahren Sinn davon. Er kann zu sich sagen: Schon sind wir sechzehn Kilometer von zu Hause fort, und das ganz klar verstehen. Schon sind wir

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