Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
umgestülpte Schüssel kalten Wassers, hallend von dröhnenden, salzigen Geräuschen, überschwemmt von dunklen, gummiartigen Gewächsen, bewohnt von bissigen Ungeheuern – sie plagte meinen Geist, saugte mich aus, füllte sich mit mir. Natürlich war es die nördliche See, die ich kannte und haßte, den stumpfen, schmutzigen Atlantik, schmierig an der Küste von Massachusetts leckend. Eine schwarze, felsige Küste, undurchdringliche Rätsel des Wassers, eine Linie von Morgenwrackgut, das die sandigen kleinen Buchten verseuchte, zahllose Krebse und kleinere Schalentiere überall. Beim Schwimmen stellte ich mir unfreundliche Seeungeheuer vor, die an meinen baumelnden Beinen herumstupsten. Ich blickte angewidert auf das unsichtbare, schimmernde Gewirr von Planktoniten mit behaarten Scheren, dieser Fantasia fasriger Fäden und knackender Fühler. Und am meisten fürchtete ich die langsamen, trägen Bewegungen des Kraken, der lässig seine riesigen Tentakel zu den Booten an der Oberfläche hinaufschweben läßt. Und ich treibe hier auf der Brust der See. Aprils Gesicht am Himmel zeigt ein Lächeln. Das Gesicht Irenes verzieht sich zu einem Zwinkern.
    Ich werde vom Mahlstrom angezogen. Schwimmen ist unnötig; das Wasser trägt mich zielbewußt darauf zu. Trotzdem schwimme ich, Zug um Zug, ohne der Kraft der See nachzugeben. Das erste Vo rgebirge taucht auf. Ich schwimme um so energischer. Ich erlaube dem Strudel nicht, mich zu packen; ich muß mich ihm freiwillig überlassen.
    Jetzt drehe ich mich in den äußeren Windungen der Charybdis immer wieder um mich selbst. Das ist der Ort, durch den der Geist abgesaugt wird: Ich kann Aprils Gesicht wie eine leere Plastikmaske sehen, schwebend, hinabgezogen, mit dem Kinn voraus verschwindend durch das Loch des Strudels, wieder auftauchend, wieder untertauchend, ein unendlicher Zyklus von Ertrinken und Verschwinden und Auftauchen und Neubelebung. Ich muß ihr folgen.
    Sinnlos, hier schwimmen zu wollen. Man kann nur seine Arme und Beine an den Körper pressen und nachgeben, während man durch eine Stufe des Mahlstroms nach der anderen hinabgeschwemmt wird, bis man das Herz des Strudels erreicht, und dann – swuusch – das letzte Stürzen. Jetzt falle ich. Es dauert ewig. Von morgens fiel er bis zu Mittag, vom Mittag bis zum Abendtau. Ich schieße hinab durch das hohle Herz des Wirbels, von einer ungeheuerlichen Saugkraft gepackt, bis ich plötzlich in eine dunkle Region kalten, stillen Wassers gelange: tief unter der Oberfläche des Meeres. Meine Lunge schmerzt; mein Brustkorb, über einem Klumpen heißer, verbrauchter Luft gedehnt, feuert wütende Proteste in meine Achselhöhlen. Ich gleite die glatte, vertikale Fassade eines Unterwasserberges hinab. Meine Füße finden Halt auf einem Sims; ich taste mich weiter und erreiche endlich die Öffnung einer Höhle, in scharfem Winkel gegen die senkrechte Felswand geneigt. Ich kippe hinein.
    Drinnen finde ich einen mit Luft gefüllten Raum, muffig, glitschig, von einem unerklärlichen inneren Leuchten erhellt. Dort ist April, an die Rückwand der Höhle gekauert. Sie ist nackt und fröstelt, mürrisch, das Haar in feuchten Strähnen an die blasse Säule ihres Halses geklebt.
    Sie sieht mich, steht auf, tritt aber nicht auf mich zu. Ihre Brüste sind klein, ihre Hüften schmal, ihre Schenkel mager: der Körper eines Kindes.
    Ich strecke eine Hand nach ihr aus.
    »Komm. Schwimmen wir gemeinsam hinaus, April.« »Nein. Es geht nicht. Ich ertrinke.«
    »Ich bin bei dir.«
    »Trotzdem«, sagt sie. »Ich werde ertrinken, ich weiß es.« »Was willst du dann tun? Einfach hierbleiben?«
    »Vorerst.«
    »Bis wann?«
    »Bis es ungefährlich ist, herauszukommen«, sagt sie. »Wann wird das sein?«
    »Ich werde es wissen.«
    »Ich warte zusammen mit dir. Ist dir das recht?«
    Ich dränge sie nicht. Endlich sagt sie: »Gehen wir.« Diesmal bin ich derjenige, der zögert, zu meiner eigenen Überraschung. Es ist, als hätte in der Höhle ein Kraftaustausch stattgefunden, und ich sei geschwächt worden. Ich weiche zurück, aber sie ergreift meine Hand und führt mich entschlossen zur Öffnung der Höhle. Ich sehe draußen das Wasser wirbeln, in Schach gehalten, weil es keine Möglichkeit hat, die Luftblase fortzudrücken, die unsere Höhle in der Bergwand füllt. April beginnt den glitschigen Gang hinunterz urutschen, der uns
    aus der Höhle führt. Sie ist erregt, strahlend, funkelnde Augen,
    wogende Brust.
    »Komm«, sagt sie. »Jetzt! Jetzt!

Weitere Kostenlose Bücher