Steinbrück - Die Biografie
ausdrückliches Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Landesverteidigung abgelegt. Später, nach Ruhnaus Wechsel zur Lufthansa, trafen sich die rechten Genossen regelmäßig in einem Schulungszentrum der Airline in Seeheim an der Bergstraße, was ihnen schließlich den neuen Namen gab. Gefälligkeiten dieser Art könnte sich heute ein politisch engagierter Manager kaum noch leisten.
Steinbrück und seine Mitstreiter in der Schülerzeitungsredaktion hatten sich allerdings nicht aus Neigung zum Kommunismus für ihren Interviewpartner entschieden. Vielmehr ging es darum, ein Tabu zu brechen und etwas Staub aufzuwirbeln. In bürgerlichen Kreisen sprach man 1966 nämlich noch nicht mit Kommunisten. Die KPD-Anhänger wurden im Gegenteil als eine Art Unmenschen verteufelt, erinnert sich Steinbrück heute. Genau deshalb wollten die Schüler in Erfahrung bringen, ob diese Leute wirklich so schrecklich und gefährlich waren, wie von Eltern, Lehrern und Politikern immer behauptet wurde. Also brach man in das nicht ganz so feine Stadtviertel Altona auf, zu der Zeit noch eine Hochburg der Hamburger Kommunisten. Der Gesprächspartner war ein klassischer alter Parteikader aus den Zwanzigerjahren, nicht zu vergleichen mit diesen neumodischen Jungakademikern aus der DKP mit Hornbrille und Lehrerdiplom. Ein KPDler von echtem Schrot und Korn eben. Die erste Frage des Interviews lautete übrigens, ob er als Kommunist immer noch Maschinengewehre im Keller verstecke. Eine Erinnerung, bei der Steinbrück schallend zu lachen pflegt. Aber 1966 stellte sein Freund diese Frage ganz ernst und trocken – wahrscheinlich hatte er entsprechende Unterstellungen zu Hause vom Vater am Küchentisch gehört.
Einen bekannten Exkommunisten, der ebenfalls zu der Zeit in Hamburg lebte und schon lange zur SPD übergetreten war, traf Steinbrück allerdings erst Jahre später in Bonn: Herbert Wehner. Der knorrige Sozialdemokrat mit der Pfeife und der gefürchtet scharfen Zunge hatte von 1949 an über Jahrzehnte den Bundestagswahlkreis Hamburg Bergedorf-Harburg inne, bevor er ihn 1983 an Hans Ulrich Klose übergab. Klose, der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, ist bis heute Mitglied des Bundestags. Damit ist Bergedorf-Harburg der einzige Wahlkreis in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte, der von 1949 bis heute von nur zwei Politikern vertreten wurde.
Als Glücksfall für den politisch interessierten Schüler Steinbrück erwiesen sich zwei Lehrer, die sein Engagement früh erkannten und förderten. Da war zunächst eine für Englisch und Geschichte zuständige Studienrätin mit dem Namen Braun. Sie ist Steinbrück als aufgeschlossene und sehr couragierte Pädagogin in Erinnerung geblieben. Keine Feministin, wohl aber eine junge Dame, die viele Dinge hinterfragte und schon Ende der Sechzigerjahre nicht bereit war, das übliche männliche Dominanzstreben einfach hinzunehmen. Darin glich sie der Mutter von Steinbrück, die ebenfalls gewohnt war, Fragen zu stellen, anstatt Verhaltensweisen und Erklärungen einfach nur zu akzeptieren. Frau Braun diskutierte mit den Schülern, wollte deren Meinung hören und war aufklärerisch tätig – ein ungewöhnliches Profil für eine Lehrerin in dieser Zeit.
Damals stand das Gros des Lehrkörpers noch in der Tradition des berüchtigten Paukers und war ganz auf Frontalunterricht klassischer Prägung eingestellt. Man verstand sich weniger als Pädagoge, sondern eher als Respektsperson, die Wissen weitergab und den Stoff gegebenenfalls eintrichterte. Besonders auf die Nerven gingen dem Schüler Steinbrück die schauerlichen bis angeberischen Weltkriegserinnerungen mancher Lehrer, die gerne als verkappte Heldensagen erzählt wurden. Einer meinte sogar, den Kindern einmal in aller Ausführlichkeit beschreiben zu müssen, wie ihm im Ersten Weltkrieg eine Granate den ganzen Arm abgerissen hatte.
Der zweite Lehrer, der Steinbrück an die Politik heranführte und ihm die Kunst des Redens und Debattierens vermittelte, war ein Mann namens Heinz Winkler. Er unterrichtete Wirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik – neben Geschichte die beiden Lieblingsfächer des jungen Peer. Winkler war den Beschreibungen nach sehr gut darin, den Schülern der Oberstufe das Argumentieren beizubringen. Er übte mit ihnen, wie man Reden und kurze Vorträge hielt. Die Schüler mussten nicht nur stur etwas auswendig lernen, sondern sollten anhand eines vorgegebenen Textes aus den Bereichen Wirtschaftspolitik und -geschichte eine eigene Rede
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