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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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haben ihn auch die ersten drei Monate Grundausbildung nicht gestört, in denen er durch den Matsch robben und anderen Unsinn machen musste.
    Einer der verlässlichsten und interessantesten Menschen, die er bei der Bundeswehr kennenlernte, war ein Hamburger Maurer. Der Mann imponierte ihm, weil er trotz einfacher Bildung ein sehr differenzierter Gesprächspartner war. Im Gegensatz zum Abiturienten Steinbrück hatte er durchaus lange mit sich gerungen, ob er den Eintritt in die Bundeswehr verweigern oder den Dienst an der Waffe akzeptieren sollte – sie sprachen anfangs häufig darüber. Steinbrück freundete sich mit dem nachdenklichen Maurer an und gewann durch ihn einen Einblick in ganz andere familiäre und soziale Lebensumstände. Da der Kamerad am Wochenende immer mit ihm nach Hause fuhr, hatten sie im Auto auf dem Weg von Oldenburg nach Hamburg reichlich Zeit für ausgiebige Debatten.
    Schnell bekam der Jungoffizier Steinbrück erste Führungsverantwortung übertragen. Schon als Zugführer hatte er den Befehl über rund 30 Leute und die Besatzung von fünf Leopard-Panzern. Steinbrück versichert, dass der martialisch anmutende Auftritt »seiner« Panzereinheit ihn nicht beeindruckt habe. Aber es blieb nicht ohne Einfluss auf seine persönliche Entwicklung, dass er im Alter von 21 Jahren plötzlich Befehle erteilen konnte – und umgekehrt Verantwortung dafür übernehmen musste, wenn etwas schiefging, vor allem beim Material und der Ausrüstung. Er war bei der Bundeswehr erstmals gezwungen, sich vor eine größere Gruppe von Leuten zu stellen und sich klar und verständlich auszudrücken, sonst hätte er sich blamiert. Vom Schüler zum Befehlshaber: Das war ein Rollenwechsel, der Steinbrück Auftrieb gab und sein Selbstbewusstsein weiter stärkte.
    Nachdem er sich auf dem Gymnasium oft genug gegen die Allmacht der Lehrer aufgelehnt hatte, war er nun selbst zu jemandem geworden, der anderen Menschen etwas vorschreiben konnte. Er nahm die neue Rolle bereitwillig an, machte aber auch rasch die Erfahrung, dass die Befehlsgewalt als rein formale Autorität nicht ausreichte, um Anerkennung zu erwerben. Man konnte auf dem Kasernenhof zwar »Hacken zusammen« oder »Augen geradeaus« brüllen. Entscheidend war hingegen die menschliche, die informelle Autorität. Steinbrück hat sehr darauf geachtet, die Kameraden nicht nur anzuweisen, sondern zugleich zu überzeugen. Nichts wäre für ihn schlimmer gewesen, als in den Augen seiner Leute als Knallcharge oder Abiturientenschnösel dazustehen. Er wusste, dass man auf ihn, den jungen Offizier aus gutem Hause, besonders skeptisch schaute. Also bemühte er sich darum, den anderen das Gefühl zu vermitteln, den Durchblick zu haben und halbwegs sinnvolle Anordnungen zu geben.
    An diesem unbedingten Willen, durch Kompetenz zu glänzen und nicht durch Gefälligkeit, hat sich bis heute nicht viel verändert. Auch der Politiker Steinbrück verzichtet darauf, sich bei potenziellen Wählern einzuschmeicheln. Er wirbt in der Regel nicht mit billigen rhetorischen Versprechen um Zustimmung, sondern achtet vielmehr darauf, beim Publikum Sachkenntnis und Durchblick zu demonstrieren. Wenn er schon nicht so viel Wärme und Empathie verströmen kann wie andere Politiker, dann will er umso mehr mit Kompetenz überzeugen.
    Bei der Bundeswehr machte Steinbrück aus seiner Zuneigung für Willy Brandt und die SPD keinen Hehl. Damals wurde unter den Soldaten ebenfalls heftig über Politik diskutiert. Die Veränderungen im Land und der Geist der achtundsechziger Bewegung machten selbst vor den Kasernen nicht halt. Schon als Rekrut fiel Steinbrück seinem Zugführer als politisch engagierter Mensch auf. Der Vorgesetzte hieß Hittmeier und wurde recht schnell zum Oberleutnant befördert. Als solcher trat er dann einer Gruppe bei, die den Namen »Leutnant-70« trug, was auf die bevorstehenden Siebzigerjahre und die damit verbundenen gesellschaftlichen Reformhoffnungen hindeutete. Die Gründung dieser Bewegung war ein Ausdruck für die Unruhe, die damals auch die Wehrdienstleistenden und den Offiziersnachwuchs der Bundeswehr erfasst hatte.
    Die jungen Männer verstanden sich nicht als Anführer für zivilen Ungehorsam beim Militär. Vielmehr wollten sie dem seinerzeit noch umstrittenen Konzept der »Inneren Führung« zum Durchbruch verhelfen, das darauf abzielte, eine moderne Armee in der Demokratie zu formen. Die Bundeswehr sollte sich eben nicht, wie einst die Reichswehr in der Weimarer Zeit, zum

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