Steinbrück - Die Biografie
schick, SPD zu wählen und ein linkes oder besser gesagt fortschrittliches Lebensgefühl zu demonstrieren. Selbst Fernsehgrößen aus dem Unterhaltungsbereich wie die Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Frankenfeld oder populäre Schauspieler wie Inge Meysel und Horst Tappert machten keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Willy Brandt und die Sozialdemokratie.
Kein Wunder, dass diese SPD-Hegemonie in Kunst, Kultur und Wissenschaft auch den jungen Bundeswehroffizier Peer Steinbrück erfasste. Als ihn sein militärischer Vorgesetzter Hittmeier erstmals zu einer SPD-Versammlung mitnahm, fühlte sich Steinbrück sogleich gut aufgehoben, wie er in der Rückschau sagt. Von Arbeitern bis zu Ärzten, von Rentnern bis zu jungen Müttern, von normalen Angestellten bis zu Rechtsanwälten war alles vertreten, was man einen Querschnitt durch die Bevölkerung nennen würde. Das gefiel Steinbrück ebenso wie die offenen und kritischen Debatten, die bei den Versammlungen geführt wurden. Dass viele der damals noch lebendigen Ortsvereine später klassische Vereinsmeierei betreiben und eine durchaus piefige Atmosphäre ausstrahlen würden, konnte sich Steinbrück zu dieser Zeit nicht vorstellen. Als Kritiker seiner Partei ist er denn auch erst sehr viel später in Erscheinung getreten.
Jedenfalls dauerte es nicht lange, und die stürmische Aufbruchstimmung der späten Sechziger hatte aus dem politisch interessierten Bürgersohn und Bundeswehroffizier Steinbrück den Genossen Peer gemacht. 1969 trat er voller Überzeugung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. Wenn man heute mit ihm über die Gründe für seine Entscheidung spricht, nennt er mehrere Faktoren. Zum einen fand er sich gesellschaftlich und kulturell vollständig in dem Lebensgefühl wieder, das die SPD damals als fortschrittlich empfundene Partei ausstrahlte. Dazu gehörten die Offenheit Neuem gegenüber, der Wille zur Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, das Hinterfragen bestehender gesellschaftlicher Normen und Regeln sowie die von Steinbrück schon sehr früh empfundene Distanz gegenüber Autoritäten. Der Geist, den die SPD zu der Zeit atmete, war ganz nach seinem Geschmack.
Der zweite Grund für seinen Parteieintritt bestand in der außergewöhnlichen Ausstrahlung und Anziehungskraft von Willy Brandt. Die Faszination, die der Regierende Berliner Bürgermeister und spätere Kanzler und SPD-Vorsitzende verströmte, hatte Steinbrück früh gepackt. Wichtig für seine Entscheidung zugunsten der SPD war nicht zuletzt das Eintreten Brandts für die Verständigung mit der DDR und Osteuropa. Der Kalte Krieg und die beängstigende Aufrüstung, die nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 eingesetzt hatte, wurden von der Bevölkerung als bedrohlich empfunden. Die Politik der strikten Nichtanerkennung, ja Ächtung der DDR, hatte inzwischen zu einer zunehmenden Verhärtung geführt. Darunter litten zuallererst jene Bürger in Ost und West, die jetzt ihre Verwandten oder Freunde nicht mehr sprechen, geschweige denn besuchen konnten. Verzweifelt hofften die durch die Kriegsfolgen auseinandergerissenen Deutschen auf ein politisches Tauwetter, um nach Jahren der Trennung wieder den Kontakt zu ihren Lieben aufnehmen zu können. Doch die konservativ geführten Bundesregierungen hatten sich seit den Fünfzigerjahren in der Deutschlandpolitik in eine Sackgasse manövriert. Daran war nicht zuletzt die sogenannte »Hallstein-Doktrin« schuld. Der nach seinem Verfasser, dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein, benannte Kodex besagte, dass die Bundesrepublik eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und anderen Staaten als unfreundlichen Akt bewerten würde. Begründung für diese drohende Haltung gegenüber allen Drittstaaten war der strikte Alleinvertretungsanspruch Bonns, dem zufolge die Bundesrepublik die einzige demokratisch legitimierte Vertretung des gesamten deutschen Volkes darstellte.
Mochte diese Haltung auch völkerrechtlich begründbar sein, so übersah sie dennoch wichtige Tatsachen: Trotz der Doktrin hatten schon zahlreiche Staaten, vor allem im Ostblock, die DDR völkerrechtlich anerkannt. In diesen Fällen stand die Bundesrepublik vor dem Dilemma, darauf angemessen reagieren zu müssen. Übermäßig harte Reaktionen hätten leicht zu einer außenpolitischen Isolierung Bonns führen können, zumindest aber wären die Beziehungen zu einer Reihe von wichtigen Staaten nachhaltig erschwert worden. Blieb die
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