Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
Vom Netzwerk:
der nächtlichen Diskussionsrunde. Wenn der Hamburger mit dem trockenen und gerne auch deftigen Humor in Stimmung gerät, kann er die gesamte Runde mit allerlei Geschichten unterhalten. Bei den Pointen lacht er dann dröhnend mit und steckt alle anderen an. Sarkastisch ist er oft, der Peer, dabei immer gut informiert und rhetorisch geübt, das merken seine Kommilitonen schnell.
    Allerdings war ihm bei den vielen Debatten nicht der intellektuelle Austausch wichtig. »Er wollte die Diskussionen immer gewinnen«, erinnerte sich später eine Mitbewohnerin, »und möglichst jede Streitfrage zu seinen Gunsten entscheiden.« Dabei überließ der Student Steinbrück nichts dem Zufall. In einem Zettelkasten sammelte er in kurzen Stichworten alles, was er zu einzelnen politischen Themen für relevant hielt. Wurde dann am Küchentisch der Wohngemeinschaft etwa über das militärische Wettrüsten in Ost und West gestritten, konnte er seine Mitbewohner mit der genauen Anzahl der russischen und amerikanischen Atomsprengköpfe konfrontieren und durch profundes Detailwissen glänzen.
    So ging es ständig, denn Steinbrück erweiterte und perfektionierte das Zettelkastensystem kontinuierlich. Er las viel, redete, diskutierte und schrieb alles gleich auf, was ihm wichtig erschien. Seine Bereitschaft, sich überall zu informieren und unablässig Wissenswertes aufzusaugen, führte dazu, dass er die anderen WG-Bewohner nach kurzer Zeit in Grund und Boden argumentierte. Er liebte diesen Augenblick, wenn er als Einziger die entscheidenden Fakten wie ein Trumpfass präsentieren und so die Debatte für sich entscheiden konnte, erzählt später ein Studienfreund. An diesem unbedingten Willen, gut vorbereitete Arbeitssiege zu erringen, sollte sich fortan nichts mehr ändern. Auch in seinem Berufsleben machte Steinbrück es sich zum Prinzip, besser informiert zu sein als andere, die Materie tiefer zu durchdringen und so Anerkennung und Erfolg vor allem über die Kraft des Arguments zu erringen.
    Politisch radikal ist keiner der acht Studentinnen und Studenten, die sich in der weitläufigen Altbauwohnung unweit der Kieler Förde die acht Zimmer sowie Küche und Bad teilen. »Ich war von allen noch die linkeste Bazille«, hat Steinbrück einmal schmunzelnd erwähnt. In der WG hängen weder Che-Guevara-Plakate, noch finden sich Mao-Bibeln oder Aufrufe zur Unterstützung irgendeiner radikalen Splittergruppe. Man hat sich auch nicht zusammengefunden, um eine Kommune zu gründen oder alternative Lebensformen auszuprobieren, sondern um Geld zu sparen und gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen. Während sich in anderen WGs der Abwasch auftürmt, lösen Steinbrück und seine Mitbewohner das Problem auf höchst konventionelle Weise: Die Studenten kaufen eine Spülmaschine der Marke Bauknecht. Ansonsten gilt nur eine eiserne Regel: das Rotationsprinzip beim Kochen. Anfang der Siebzigerjahre sind davon inzwischen Männer wie Frauen gleichermaßen betroffen, zumindest in linksliberalen Studentenkreisen. Steinbrück mogelt sich allerdings gerne mit Toast Hawaii an seiner wöchentlichen Kochpflicht vorbei – die Definition eines »warmen Abendessens« ist fließend. Die WG-Bewohner sind klug, aber nicht intellektuell verstiegen. Neben ihrer Fachliteratur lesen sie Romane oder Krimis und gelegentlich ein paar Sachbücher über aktuelle Zeitfragen. Nur in Steinbrücks Zimmer stapeln sich dicke Bände über Philosophie, Politikwissenschaften und Marinegeschichte. Ansonsten gibt es nichts Auffälliges in der Achter-WG. Seine vier Wände hat Steinbrück mit klassischen Schiffsmotiven verziert – keine besonders extravagante Dekoration für einen gebürtigen Hamburger mit Wohnsitz in Kiel. Wenn er sein Zimmer reinigt, schiebt er den Staubsauger in parallelen Linien vor und zurück, einmal längs und einmal quer.So, wie er staubsaugt, wird Steinbrück später Politik machen: effizient, schnörkellos und systematisch.
    Erschöpft von der langen nächtlichen Diskussion und müde vom Wein schlafen die Studenten der Wohngemeinschaft noch tief und fest, als am 31. Mai 1972 gegen sechs Uhr morgens heftig an der Tür geklingelt wird. Schlaftrunken steht Veronique Lundgren, eine der Mitbewohnerinnen, auf. Als sie die Tür öffnet, stürmen zwei Dutzend bewaffnete Polizisten in die Wohnung, begleitet von Beamten des Verfassungsschutzes und der Staatsanwaltschaft. Einer der Uniformierten hält Steinbrück die Maschinenpistole vor den Bauch. Bei einem ähnlichen Einsatz

Weitere Kostenlose Bücher