Steinbrück - Die Biografie
Hallstein-Doktrin hingegen trotz erfolgter Anerkennung der DDR durch einen dritten Staat folgenlos, wäre die Formel als das entlarvt worden, was sie am Ende war: eine leere Drohung oder genauer gesagt ein diplomatischer Papiertiger.
Zudem ignorierte der Kodex, dass die DDR schlicht existierte und mit jedem weiteren Jahr ihres Bestehens eine nicht zu leugnende politische Realität darstellte. Ob die frühere sowjetische Besatzungszone nun als Staat anerkannt oder als unrechtmäßiges, quasi staatliches Gebilde verachtet wurde, war nachrangig für all jene Menschen in Ost und West, die unter der Trennung litten. Willy Brandt, der sich als Regierender Bürgermeister von Berlin bestens mit der Situation in der geteilten Stadt auskannte, suchte nach einem Weg, die Konfrontation zu verringern, ohne gleich alle Prinzipien der Deutschlandpolitik über Bord zu werfen. Er erreichte viel. Als Bundeskanzler schaffte er 1969 an der Spitze der sozialliberalen Koalition gleich zu Beginn seiner Regierungszeit die Hallstein-Doktrin ab – und den damit verbundenen bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruch. In der CDU/CSU führte das zu einem Aufschrei. Die Empörung hielt allerdings nicht lange an, denn die Wirkungslosigkeit einer »Politik der Stärke gegenüber dem Osten« war täglich zu beobachten.
In den folgenden Jahren trotzten Brandt und sein Vertrauter Egon Bahr der DDR-Führung in Ostberlin in zähen Verhandlungen Stück für Stück wichtige humanitäre Zugeständnisse ab. Besuche von Westdeutschen in der DDR und in Ostberlin wurden gestattet, es gab wieder Telefonverbindungen für Normalbürger und in Härtefällen später auch Ausreisegenehmigungen. Dafür gaben Brandt und Bahr bei einigen Statusfragen nach. So wurde die DDR zwar nicht völkerrechtlich, aber staatsrechtlich als »einer der zwei Staaten in Deutschland« im Sinne einer gemeinsamen Nation anerkannt.
Steinbrück, der 1981 für kurze Zeit in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin gearbeitet hat, stand der DDR und ihrem Herrschaftssystem von Anfang an ablehnend gegenüber. Die beklemmende Atmosphäre im grauen Osten der geteilten Stadt ist ihm als bedrückende Erinnerung an den »Arbeiter-und-Bauern-Staat« bis heute geblieben. Trotzdem hatte der Hamburger bereits sehr viel früher gespürt, dass beim Ost-West-Konflikt ein politisches Verharren in formalen Positionen zu nichts führen würde außer zu folgenloser Rechthaberei. Dass Brandt hier endlich die Erstarrungen aufbrach, war ebenfalls ein Grund für Steinbrück, der SPD beizutreten. Brandt habe damit in einer für Deutschland lebenswichtigen Frage eine Perspektive eröffnet und vielen Menschen Anlass zu Hoffnung gegeben, betont er noch heute.
Bestätigt in seiner Wahl fühlte er sich nicht zuletzt dadurch, dass Brandt und sein liberaler Außenminister Walter Scheel zusammen mit dem zum Bundesminister für besondere Aufgaben ernannten Egon Bahr ihre »Politik der Öffnung« auf den gesamten Ostblock übertrugen. Dahinter stand die Erkenntnis, dass Veränderungen nicht durch Konfrontation erzielt werden konnten. Im Gegenteil: Bereits die Kubakrise von 1962 hatte gezeigt, dass der Kalte Krieg rasch in einen heißen Konflikt, also in eine bewaffnete, womöglich sogar atomare Auseinandersetzung umschlagen konnte.
Stattdessen setzte Brandt auf Deeskalation, was sich schon in der Wahl seiner politischen Terminologie zeigte: Die sozialliberale Koalition entwickelte eine »Verständigungspolitik«, die später zu einer »Entspannungspolitik« ausgebaut wurde. Das grundlegende Prinzip dieser neuen Ostpolitik lautete »Wandel durch Annäherung«. Es wurde 1982 von der unionsgeführten Bundesregierung unter Helmut Kohl nahtlos fortgesetzt und blieb bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 gültig. »Das Konzept Wandel durch Annäherung hat mir imponiert, weil dadurch diese irrsinnige Konfrontation … im deutsch-deutschen Verhältnis, aber auch im innereuropäischen Verhältnis überwunden werden sollte«, begründete Steinbrück in dem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk seine frühe Unterstützung für die Ostpolitik Willy Brandts (26.4.2011).
Obwohl Steinbrück nie als besonders emotionaler Politiker galt, berührte ihn wie Millionen anderer Deutsche eine besondere Geste, die Brandts neue Politik der Verständigung und sein Bedürfnis nach Aussöhnung und Frieden symbolisierte: Als er am 7. Dezember 1970 unmittelbar vor der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags in der polnischen
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