Steinbrück - Die Biografie
Städten gelebt und dabei fünf verschiedene Ämter in zwei Bundesländern ausgeübt. Seine Identität ließ sich also nicht so ohne Weiteres definieren. Würde er hier als Ministerpräsident akzeptiert? Allein sein Vorname! Die Leute im Ruhrpott hießen Peter oder Paul, aber bestimmt nicht Peer. »Genosse Peer« – wie das schon klang. Der nordische Vorname kostete ihn in seinem Landtagswahlkreis Unna II am Ostrand des Ruhrgebiets jedes Mal zwei Prozent der Stimmen, glaubten alteingesessene Genossen. Und wenn der »Härr Schteinbrück«, wie man ihn hier ansprach, in Wanne-Eickel oder Bottrop mit hanseatisch spitzer Zunge über »Ssssteinkohle« statt über »Schteinkohle« sprach, dann waren die nächsten zwei Prozent futsch.
Steinbrück war lange genug mit Johannes Rau kreuz und quer durch Nordrhein-Westfalen gefahren, um genau zu wissen, dass von einem Ministerpräsidenten mehr erwartet wurde als von einem sachkundigen Staatssekretär oder einem fleißigen Fachminister. Und ihm war auch nicht entgangen, dass den Leuten sogar beim gebürtigen Bochumer Wolfgang Clement Wärme und Ausstrahlung fehlten. Davon würde er, der ewige Hamburger, wohl noch viel weniger aufbieten können. Den meisten SPD-Mitgliedern galt Rau nach wie vor als Idealverkörperung des Landesvaters: gütig, mitfühlend und nachsichtig gegenüber seinen Landeskindern. »Mit pastoralen Anekdötchen, einem frisch gezapften Pils und einer lockeren Hand beim Skat hatte Rau sein Wahlvolk 20 Jahre lang bei Laune gehalten«, schreibt Peter Dausend über die Ära von »Bruder Johannes« in der Welt (9.4.2003). Von Steinbrück durfte man Ähnliches nicht erwarten. Allerdings war diese gute alte Zeit bereits mit Clements Amtsantritt vorbei gewesen. Würde da die Herausforderung für einen Ministerpräsidenten Steinbrück nicht sogar darin bestehen, sich in diesen neuen ernsten Zeiten vom überholten Bild des fürsorgenden Landesvaters zu lösen? War es nicht an ihm, die Rolle des Ministerpräsidenten zu modernisieren, sie der härter gewordenen Wirklichkeit anzupassen?
Peer Steinbrück kannte seine Stärken und Schwächen. Er sah sich schon damals als guter Politikmanager und nicht als begnadeter Politikdarsteller. Mochten ihm in NRW auch der Stallgeruch und ein landestypischer Zungenschlag fehlen – er kannte das Land und seine Probleme besser als die große Mehrzahl der Einwohner. Und an administrativer und fachlicher Kompetenz mangelte es ihm gewiss nicht. Im Gegenteil: Als politischer Feuerwehrmann hatte er schon vielen Herren gedient und dabei zahlreiche Brände gelöscht.
Später erzählte Steinbrück einmal, dass er nach dem ersten vertraulichen Gespräch mit Schröder und Clement im Sommer 2002 in den Spiegel geschaut und sich eine Menge Fragen gestellt habe. Die entscheidende lautete: »Mensch, kannst du das?« Wie lange die Selbstprüfung vor dem Spiegel gedauert hat, ist nicht überliefert. Doch das Ergebnis stellte keine Überraschung dar. Natürlich traute er sich den Job zu.
Sein Ehrgeiz allein reichte allerdings nicht aus. Parteitaktisch war das Manöver mit einigen Risiken verbunden. Die SPD sah den Kronprinzen von Clement weniger in Steinbrück, sondern ganz klar in ihrem Landesvorsitzenden Harald Schartau. Und den durfte man nicht unterschätzen.
Der Mann mit dem Schnauzbart und dem gemütlichen Duisburger Akzent war einer der typischen Vertreter der Ruhrgebiets-SPD. Schartaus Vater arbeitete als Stahlarbeiter in Huckingen, und der Junge stieß früh zu den »Falken«, der sozialistischen Jugendbewegung. Als 1968 SDS-Genossen im Sommerlager der »Falken« über Marxismus diskutieren wollten, bewies der junge Harald seinen Sinn fürs Praktische: »Wer im Trockenen Marx lesen will, muss erst mal ein Zelt aufbauen können«, beschied er die linken Lehrmeister.
Nach einer Ausbildung als Chemielaborant und einer Tätigkeit als Personalreferent bei Mannesmann schloss Schartau über den zweiten Bildungsweg ein Studium der Betriebswirtschaft ab und gelangte über Stationen beim Deutschen Gewerkschaftsbund und der IG Metall in die Politik. Clement war es, der den einflussreichen Leiter des IG-Metall-Bezirks Nordrhein-Westfalen im Jahr 2000 zum Minister für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie ernannte. Damit saß Schartau in einer sozialdemokratischen Schlüsselposition: Einst oberster Gewerkschafter des Landes führte er nun den mit Abstand größten Landesverband der SPD und war zudem der für die arbeitende Bevölkerung
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