Steinbrück - Die Biografie
Berliner Zeitung , 26.6.2003), klagt Steinbrück deutlich vernehmbar. Damit spricht er zwar anderen SPD-Landeschefs aus dem Herzen, aber die besitzen nicht den Mumm, ihrer Meinung öffentlich Ausdruck zu verleihen. Prompt füllt Steinbrück als neuer »Gegenspieler des Kanzlers« die Titelseiten. Dabei hat er gute Gründe, verstimmt zu sein. Sein Landesetat steckt tief in den roten Zahlen, und weitere Mindereinnahmen durch die vorgezogene Steuerreform würden seine gesamten Planungen über den Haufen werfen.
Schröder reagiert äußerst ungnädig, weil er von Steinbrück, dem er sich politisch als wirtschaftsfreundlichem Modernisierer eng verbunden fühlt, keine so harte Attacke erwartet hätte. Bei einem gemeinsamen Besuch der Kölner Ford-Werke ist die Spannung zwischen den beiden deutlich zu spüren. Schröder spricht beim Werksrundgang nahezu mit jedem, nur nicht mit Steinbrück. Als dieser sich am Ende des Termins zu ihm ins Auto setzen will, um doch noch das Gespräch mit dem Kanzler zu suchen, schlägt Schröder ihm die Wagentür vor der Nase zu und braust davon.
Trotz dieser Brüskierung suchte Steinbrück diskret einen Ausweg aus dem Dilemma. Dabei ging er durchaus ungewöhnliche Wege: Gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) erarbeitete er im Stillen einen Katalog von Steuerprivilegien, deren Abschaffung sowohl Hessen als auch Nordrhein-Westfalen unterstützen würden.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Sozialdemokraten schätzte Steinbrück den profilierten konservativen CDU-Politiker sehr. Der sei »schnell im Kopf«, hat er einmal über den Amtskollegen geurteilt. Dieses hanseatisch knappe Lob muss aus der Warte Steinbrücks als höchstmögliche Auszeichnung verstanden werden. Er leidet nämlich darunter, dass seine Umgebung meist nicht so schnell mitkommt, wie er denkt, und es fällt ihm schwer, dafür auch noch Verständnis zu zeigen. Intellektuelle Überlegenheit darf höchstens gefühlt, aber nie demonstriert werden – diese Lektion hat Steinbrück in der Politik lernen müssen. In dem blitzgescheiten Koch jedoch entdeckte er einen Kollegen, den er auf gleicher Höhe verortete und mit dem sich unbelastet von Parteizwängen und ideologischen Schaukämpfen vernünftig über politische Fragen sprechen ließ.
Wochenlang redeten die beiden, beauftragten einen Stab von Vertrauten in den Finanzministerien von Düsseldorf und Wiesbaden mit Recherchen und suchten Kompromisse. Vor allen Dingen aber schwiegen sie eisern, als die Presse Wind von der heimlichen schwarz-roten Verständigung bekam, die da vorbereitet wurde. Als die »Koch-Steinbrück-Liste« Ende September 2003 schließlich vorgestellt wurde, fanden sich darin spitz gerechnete und Punkt für Punkt belegte Kürzungsvorschläge in Höhe von 15,8 Milliarden Euro. Das hatte Gewicht. NRW als wichtigstes SPD-Land und Koch als stärkster CDU-Landespolitiker waren Einflussfaktoren, die selbst ein verärgerter Kanzler Schröder nicht ignorieren konnte. Auf der anderen Seite enthielt die Liste natürlich nur zum Teil echte Einsparungen wie etwa die Verringerung der Steinkohlehilfen; ein schmerzliches Zugeständnis des NRW-Ministerpräsidenten Steinbrück. Der größte Teil des »Subventionsabbaus« bestand in versteckten oder indirekten Steuererhöhungen. Die Kürzung von Eigenheimzulage, Pendlerpauschale und Sparerfreibetrag, um nur einige zu nennen, führten ja am Ende dazu, dass die Betroffenen vom Fiskus stärker zur Kasse gebeten wurden. Teile der »Koch-Steinbrück-Liste« wurden schließlich umgesetzt, andere scheiterten im Verlauf des politischen Streits. Die vorgeschlagene Verringerung der Entfernungspauschale für Fahrten zum Arbeitsplatz verwarf das Bundesverfassungsgericht 2008 als grundgesetzwidrig.
Neben diesem Kräftemessen mit Schröder wegen der Steuerreform stand Steinbrück kurz nach seinem Start als Ministerpräsident noch ein weiterer Kampf bevor: Die Grünen legten sich wieder einmal quer. Diesmal ging es nicht um Braunkohle, Feldhamster oder Autobahnen, sondern ausgerechnet um Steinbrücks neues Lieblingsprojekt, den »Metrorapid«. Diese Auseinandersetzung sollte sich als die folgenschwerste in einer langen Reihe von Zusammenstößen erweisen und das Verhältnis zwischen Steinbrück und den Grünen dauerhaft beschädigen.
Kapitel 7
Das Schanghai-Syndrom
A n Silvester kann es der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen eigentlich immer ordentlich krachen lassen. Egal ob in Bonn, Köln oder
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