Steinbrück - Die Biografie
Umsetzungsgeschwindigkeit, die ausländische Gäste begeistert. Insbesondere die quirlige und glitzernde Megastadt Schanghai mit ihren Wolkenkratzern und Neonfassaden zieht deutsche Manager immer wieder aufs Neue in ihren Bann. Dort wird mit unbeschreiblichem Tempo geplant und gebaut; ob Häuser, Autobahnen, Fabriken oder eben Schnellbahnverbindungen. Angesichts der langwierigen Raumordnungsverfahren in Deutschland stimmen die einfliegenden Manager dann gerne das Klagelied über die bürokratischen Fesseln in der Heimat an. Dass in China jedes Haus, das einem neuen Projekt im Weg steht, einfach weggebaggert wird, blenden die begeisterten Wirtschaftsleute lieber aus, wenn sie das Hohelied auf den chinesischen Fortschritt singen. Solange man zu Hause gegen jede Bushaltestelle klagen kann, die in Reichweite der heimischen Villa geplant wird, lässt sich im Ausland trefflich über Innovationsfähigkeit philosophieren.
Doch der »China-kann-es-besser-Virus« ist hartnäckig und befällt bei der Silvesterfahrt mit dem Transrapid prompt auch die deutsche Delegation. Vor allem Clement und Steinbrück reden sich geradezu in einen Rausch hinein. Seit Jahren führen sie mit den Grünen daheim einen zähen und frustrierenden Kleinkrieg um jedes Projekt, das der Wirtschaft wichtig ist. Und dann sehen die beiden hier im Reich der Mitte, wie rasend schnell die Dinge sich entwickeln können, wenn man nur will.
Zurück in Düsseldorf lässt Steinbrück die Grünen spüren, dass für ihn eine neue Zeit angebrochen ist, seit er den Boom und das Tempo in Asien mit eigenen Augen gesehen hat. Unwirscher denn je reagiert der Ministerpräsident, wenn der kleine Koalitionspartner seiner Meinung nach wieder einmal Sand ins Getriebe wirft. Die Grünen sprechen bereits vom »Schanghai-Syndrom«, unter dem Steinbrück seit der Chinareise leide.
In Wirklichkeit kommt bei ihm jetzt alles hoch, was er seit Beginn seiner Politikerkarriere im Ringen mit den Grünen erlebt hat. Der Streit um die Ostseeautobahn, der Braunkohletagebau in Garzweiler, der Flughafenausbau in Düsseldorf und der Metrorapid waren ja nur die Spitze des Eisbergs. Stärker noch wirken die vielen kleinen Einwendungen und Blockaden nach, die Steinbrück mehr und mehr als Nadelstiche empfunden hat. Von Anfang an mochte er das Missionarische bei den Grünen nicht, ihre Betroffenheitsethik und den Anspruch, grüne Themen als moralisch höherwertig zu beurteilen und deshalb über andere Politikfelder zu stellen. Steinbrück, der selbst im Ruhrpott mit Nadelstreifen und Krawatte herumläuft, hasst im Grunde bei seinen langjährigen Partnern auch den alternativen Schlabberlook und ihren Hang zum Gutmenschentum. Als der ganze Frust und Ärger wieder einmal aus ihm herausbricht, ahnt Wirtschaftsminister Harald Schartau, wohin das noch führen könnte. »Hör auf mit dem Mist«, warnt er den Ministerpräsidenten. »Sonst ist die Regierung am Ende.«
Der Höhepunkt der schlechten Laune ist erreicht, als Umweltministerin Bärbel Höhn nach Steinbrücks Rückkehr aus Schanghai in einer Kabinettssitzung die neue nordrhein-westfälische Stapelverordnung für Osterfeuer verteidigt, die zum Schutz der Klein- und Kriechtiere erlassen werden soll. Steinbrück sei rot angelaufen und habe regelrechten Ausschlag auf der Haut bekommen, kolportiert später ein Zeuge. Ob wahr oder nicht, die Begebenheit zeigt jedenfalls, dass sich die gegenseitige Abneigung über politische Fragen hinaus bis hin zur körperlichen Antipathie gesteigert hat.
Auch in Berlin flogen damals die Fetzen zwischen SPD und Grünen. Bei einer Sitzung der wichtigsten rot-grünen Politiker von Bund und Ländern im Kanzleramt geriet Steinbrück vor versammelter Mannschaft lautstark mit Claudia Roth aneinander. Anlass des Streits war die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU. Die Grünen forderten bei der Umsetzung in deutsches Recht zusätzliche Regelungen, was Steinbrück brüsk ablehnte. Er habe die Nase voll von »grüner Betroffenheitspolitik«, schleuderte er Claudia Roth entgegen, er sei diese »Rituale« und dieses »Palaver« leid. Die Parteivorsitzende der Grünen ließ sich den Schneid nicht abkaufen. »So geht das nicht, Herr Steinbrück, wir erledigen hier unser Geschäft«, fauchte Roth zurück. Franz Müntefering musste schließlich eingreifen, damit die Situation nicht eskalierte.
Doch Beschwichtigungen halfen nicht mehr, das »Schanghai-Syndrom« hatte sich endgültig bei Steinbrück festgesetzt. Seit er das
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