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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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Koalitionsvertrags.
    Obwohl sich SPD und Grüne in den folgenden Monaten etwas mehr zusammenrissen und nicht gleich jede Meinungsverschiedenheit mit schärfster Bewaffnung austrugen, war das Tischtuch zerschnitten. Man hatte es nur mit grobem Garn notdürftig zusammengeflickt. Die heraufziehende wirtschaftliche Flaute, die steigenden Arbeitslosenzahlen und der beginnende Machtzerfall des rot-grünen Bündnisses in Berlin wirkten sich auch auf Steinbrücks Regierung aus. Das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der zerstrittenen Koalition war nachhaltig erschüttert – man traute es ihr nicht mehr zu, die Probleme in den Griff zu bekommen. Am Ende hatten die beiden Streithähne kräftig Federn gelassen.

Kapitel 8
    Immer wieder aufstehen
    I m Berliner Prominentenlokal »Borchardts« werden unbekannte und halb wichtige Gäste meistens auf die eng stehenden Tische vorne im Restaurant verteilt. Die wirklichen VIPs hingegen dürfen etwas weiter hinten im geräumigeren Teil Platz nehmen. Dort ist man vor neugierigen Blicken besser geschützt und läuft beim Essen auch nicht Gefahr, den Ellenbogen vom Nachbarn am Nebentisch in den Rippen zu spüren.
    Ministerpräsident Peer Steinbrück zählt im Frühjahr 2005 ohne Zweifel zur Kategorie der Toppromis. Er hockt im hinteren Teil der Edelkantine am Kopf einer großen Tafel und redet mit einigen Journalisten ohne große Lust über den zäh verlaufenden Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Plötzlich schlendert der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, vorbei. Die Herren grüßen einander freundlich, und Diepgen kann sich einen spöttischen Witz nicht verkneifen. »Wissen Sie eigentlich, was NRW heißt?«, fragt er Steinbrück. Der kennt den Scherz bereits zur Genüge und antwortet prompt: »Das heißt Noch Regieren Wir – und zwar noch lange!«
    Politische Witze tragen oft einen wahren Kern in sich, das weiß nicht nur Wahlkämpfer Steinbrück. Im Frühjahr 2005 hat sich das Klima für Rot-Grün in ganz Deutschland massiv verschlechtert. Über fünf Millionen Menschen sind ohne Job und nur noch 26,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer kommen für die sozialen Sicherungssysteme auf. Die fünf Wirtschaftsweisen rechnen bestenfalls mit einem Miniwachstum von knapp einem Prozent. Der Anstieg des Euro gegenüber dem Dollar verschlechtert die Exportchancen der heimischen Industrie. Der Preis für ein Barrel Rohöl hat mit mehr als 56 Dollar ein neues Allzeithoch erreicht. Die Kosten für Benzin steigen ebenso wie die Sozialabgaben. Die am Jahresanfang wirksam gewordene Senkung der Einkommensteuer ist bereits wieder verpufft. Die Unternehmer warten auf neue konjunkturelle Impulse und stellen solange niemanden mehr ein. Die Arbeitslosen warten ihrerseits auf neue Jobs und halten deshalb ihr Geld zusammen. Die Kaufzurückhaltung schadet wiederum der Konjunktur, auf deren Anspringen die Unternehmer warten. Ein ökonomischer Teufelskreis.
    In seiner Verzweiflung lockerte Kanzler Schröder bereits 2003 alle Bremsen, um das Land des Wartens in eine Nation des Aufbruchs zu verwandeln. Sein Bündel tief greifender Reformmaßnahmen sollte Jahre später von der Union als Initialzündung für die wachsende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gelobt werden, aber da war Schröder schon lange abgewählt.
    Als er im März 2003 die Agenda 2010 im Bundestag vorstellte, rang sich die völlig überrumpelte SPD-Fraktion einen mühsamen Pflichtbeifall ab, während die erstaunte Union schwieg. Die SPD brauchte einige Zeit, um die Konsequenzen der Agenda 2010 wirklich zu verstehen und ihre Sprache wiederzufinden. Danach jedoch riss die Kritik der Parteilinken an der Politik des Modernisierers Schröder nicht mehr ab. Das Wort »Reform« verkam zum Negativbegriff. Es wurde mit Einschnitt übersetzt und vor allem von den normalen Arbeitnehmern, der Stammklientel der SPD, als Bedrohung verstanden. Auch die Arbeitslosen erkannten ihre SPD nicht wieder, die sich plötzlich darin gefiel, langjährige Facharbeiter, die ihren Job verloren, mit Berufsanfängern gleichzustellen. Vor allem die Älteren fürchteten, im Fall anhaltender Erwerbslosigkeit mit Hartz IV zu verarmen und als Rentner alles einzubüßen, was man sich zuvor in einem mühsamen Arbeitsleben aufgebaut hatte. Gleichzeitig erhielten die Großkonzerne Steuerfreiheit, wenn sie ihren Beteiligungsbesitz verkauften. Die Herren in den Steuerabteilungen der Unternehmen konnten ihr Glück kaum fassen. Es gab

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