Steinbrück - Die Biografie
viele Umfragen in dieser Zeit. Das für Schröder schlimmste Ergebnis lautete wohl, dass nur noch fünf Prozent der Befragten dem Kanzler zutrauten, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nach einem solchen Misstrauensvotum gilt ein Regierungschef eigentlich als gescheitert.
Der bundesweite Negativtrend war 2005 auch in Nordrhein-Westfalen deutlich zu spüren. Steinbrück zählte allein hier im alten Industrierevier mehr als eine Million Arbeitslose. Bei der eher traditionell eingestellten Ruhrgebiets-SPD wurden die Folgen der Agenda 2010 besonders kritisch diskutiert. Aber nicht nur das verhagelte Steinbrück den Wahlkampf. Wer genauer hinschaute, erkannte, dass der schleichende Vertrauensverlust für die Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr schon Jahre vorher in Gang gekommen war.
1995 hatte die SPD nach 15 Jahren Alleinregierung die absolute Mehrheit eingebüßt. Bei den Kommunalwahlen 1999 verlor sie erstmals rote Hochburgen wie Gelsenkirchen, Hamm oder Bielefeld. In wichtigen Städten wie Köln oder Mühlheim an der Ruhr bildeten sich schwarz-grüne Bündnisse, die der SPD-Vorherrschaft in den Rathäusern ein Ende bereiteten. Hinzu kam, dass immer mehr lokale Skandale aus dem roten Filz bekannt wurden. Als Steinbrück seinen Wahlkampf begann, hatte die SPD in NRW nur noch 160 000 Mitglieder. Die CDU unter Führung von Jürgen Rüttgers konnte dagegen auf 185 000 Menschen in ihren Reihen zählen. Es waren also letztlich zwei Negativtrends, denen Steinbrück sich 2005 gegenübersah: Die Partei zeigte nach jahrzehntelanger Machtausübung deutliche Verschleißerscheinungen, und der Gegenwind zur Agenda-Politik aus Berlin blies ihm eisig ins Gesicht.
Große Teile der Arbeitnehmerschaft wendeten sich in dieser Zeit von der Sozialdemokratie ab und flüchteten in das wachsende Lager der Nichtwähler. Andere gingen zur WASG, dem westdeutschen Ableger der SED-Nachfolgepartei PDS. Trotz wachsender Proteste hielt Schröder jedoch eisern Kurs, verschärfte damit nur noch die Auseinandersetzung. Zu seinen getreuen Gefolgsleuten zählte Peer Steinbrück. Der ließ sich sogar mit den Worten zitieren, die Agenda 2010 »geht noch nicht weit genug« ( Der Spiegel, 33/2005). Beifall erhielt er dafür nicht.
In den Umfragen lagen Steinbrücks persönliche Werte 2005 zwar vor denen seines Herausforderers Jürgen Rüttgers, aber die SPD als Partei fiel nach den Erhebungen der Demoskopen Woche für Woche hinter die Union zurück. Damit rückte das Undenkbare erstmals in greifbare Nähe: Machtwechsel in Düsseldorf nach 39 Jahren SPD-Herrschaft!
Kurz vor der schicksalhaften Landtagswahl am 22. Mai 2005 bittet Kanzler Schröder den NRW-Ministerpräsidenten zu einem vertraulichen Gespräch. Unter strikter Geheimhaltung wird Steinbrück in den Plan eingeweiht, sofort Neuwahlen im Bund anzustreben, falls Nordrhein-Westfalen verloren gehen sollte. Zunächst ist Steinbrück erschrocken. Schlimm genug, falls er als Verlierer in NRW das Ende der sozialdemokratischen Ära verantworten muss. Dass er dann auch noch Auslöser für Neuwahlen im Bund und möglicherweise Verursacher des rot-grünen Machtverlusts werden soll, das trifft ihn schon hart. Doch Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering überzeugen Steinbrück, dass im Fall einer Niederlage in Düsseldorf das Weiterregieren in Berlin keinen Sinn mehr macht.
In den Sitzungen der SPD-Bundestagsfraktion spüren Müntefering und Schröder bereits die zunehmenden Widerstände. »Ich kann die Gefolgschaft nicht mehr sicherstellen«, hatte Müntefering dem Kanzler eingestehen müssen. Ein Aufstand gegen die Partei- und Regierungsspitze, so die Warnung, könne jederzeit losbrechen. Für Schröder, der bereits gegen einen schwarz-gelb dominierten Bundesrat regieren muss, ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht. Er lässt sich weder niederstimmen , noch von den eigenen Genossen aus dem Kanzleramt jagen. Dann lieber die Flucht nach vorne antreten und Neuwahlen anstreben. In offener Feldschlacht unterzugehen entspricht eher dem Naturell des Kanzlers, als sich durch eine Revolte einfach absetzen zu lassen. »Lieber abgewählt als abgemurkst«, fasst ein Vertrauter von Schröder dessen Gemütslage zusammen. Ähnlich sarkastisch kommentiert der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz die Flucht in Neuwahlen. »Der Gerd wollte wenigstens den Strick selbst bestimmen, an dem er gehängt wird« ( Der Spiegel, 22/2005).
Noch ahnt allerdings niemand etwas von Schröders Plan, alles auf eine Karte zu setzen.
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