Steinbrück - Die Biografie
Als Steinbrück das Kanzleramt nach der geheimen Unterredung wieder verlässt, spürt er eine schwere Last auf seinen Schultern. Noch am gleichen Abend fliegt er zurück nach Düsseldorf, um den Kampf in NRW zu Ende zu bringen. Am Wahlsonntag, dem 22. Mai, weiß er bereits um 15.30 Uhr, dass die Sache verloren ist. Die Befragung der Bürger vor den Wahllokalen weist auf einen klaren Sieg der CDU hin. Der nächste Ministerpräsident wird nicht mehr Peer Steinbrück heißen, sondern Jürgen Rüttgers.
Das Ende kommt nicht unerwartet, aber es trifft die SPD mit voller Wucht. Als die historische Niederlage durch die 18-Uhr-Prognose auf den Fernsehschirmen bestätigt wird, ist es gespenstig still im Apollo-Theater am Düsseldorfer Rheinufer, wo sich Anhänger und Mitglieder zur Wahlparty versammelt haben. Entsetzen macht sich breit, in manchen Augen schimmern Tränen. Hier, wo sonst Roncalli sein Publikum mit Varieténummern bezaubert, enden an diesem Tag Karrieren und Traditionen. Es wird ein trauriger Abend, an dem auch Steinbrück mit starrem Gesicht seine Tour durch die TV-Wahlstudios macht und die »bittere Niederlage« ohne viel Federlesen eingesteht. »Ich habe gegeben, was ich konnte, es lag nicht an meinem Einsatz«, versichert der Verlierer fast trotzig. Es sei eben nicht gelungen, den Bürgern die erforderliche Reformpolitik verständlich zu machen.
Auch SPD-Landeschef Harald Schartau bekennt vor den frustrierten Anhängern: »Wir haben die Wahl glatt verloren.« Vorsorglich warnt er davor, nun »eine Weltmeisterschaft des Wundenleckens zu beginnen«. Schulddebatten soll es nicht geben. »Peer Steinbrück war ein erstklassiger Spitzenkandidat«, ruft Schartau unter dem Beifall der Gäste im Apollo-Theater.
Der abgewählte Ministerpräsident wirkt ernst, aber nicht geknickt. Knapp zehn Prozentpunkte liegt das SPD-Ergebnis in NRW über den Umfragewerten der Bundespartei. Das hat früher nur Johannes Rau geschafft. Doch Steinbrück weiß, dass mit ihm der rote Faden gerissen ist und er auf immer mit dieser Niederlage verbunden sein wird. Trotzdem trägt keiner es ihm nach an diesem Abend. »Er hat geschuftet wie ein Ackergaul«, lobt SPD-Generalsekretär Michael Groschek. Und auch Steinbrück selbst hat sich in diesem Wahlkampf erstmals »als richtiger Sozi gefühlt«, wie er später sagen wird.
Bis zuletzt kämpfte er für die Agenda-Politik, warb aufrecht für notwendige Veränderungen und beugte sich dabei nicht den Kritikern, um populistische Punkte zu sammeln. Das hat ihn, den kühlen Norddeutschen, emotional aufgeladen und stark mit der unglücklichen SPD verbunden, die so schwer an ihrer Reformverantwortung trägt. Selbst Franz Müntefering, der alte Haudegen aus dem Sauerland, der ihm zuvor immer ein wenig Skepsis entgegenbrachte, hat in dieser Schlacht Achtung vor Steinbrücks Kämpferherz bekommen.
Doch die Fernsehnation bleibt an diesem Abend nicht lange bei dem Wahlverlierer in Düsseldorf. Mitten im Interview mit ihm bricht das ZDF ab, um live nach Berlin zu schalten. Dort hat Franz Müntefering soeben das Willy-Brandt-Haus betreten, um die eigentliche Sensation des Abends zu verkünden: »Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen gehen nicht in die Knie«, ruft der SPD-Chef durch die Kameras in die Wohnzimmer von Millionen Zuschauern. »Wir suchen die Entscheidung.« Statt eines Schuldeingeständnisses oder einer Fehleranalyse tritt Müntefering, wie mit Schröder und Steinbrück abgesprochen, die Flucht nach vorne an. Die Deutschen sollen sich entscheiden, das Patt zwischen Bundestag und Bundesrat müsse aufgelöst werden, so der Parteivorsitzende. Die Nation an den Bildschirmen erstarrt. Wahlen in NRW werden zwar seit jeher als »kleine Bundestagswahl« bewertet. Dass aber einer Niederlage dort auf dem Fuß eine bundesweite Neuwahl folgt, ist dann doch überraschend.
Wenig später trat der Kanzler vor die Kameras. Er hatte vorher noch schnell mit Bundespräsident Horst Köhler telefoniert und ihn über seine Absicht informiert, in Kürze einen Antrag auf Auflösung des Bundestags zu stellen. Das war um 17.15 Uhr. Schröder wartete möglichst lange aus der Sorge heraus, Köhler könne die Nachricht vor der offiziellen Bekanntgabe diskret der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zuspielen. Das hätte dem ganzen Manöver den Überraschungseffekt genommen, und der war Schröder wichtiger als alles andere. Schließlich wollte er in dieser krisenhaften Zuspitzung das Heft des Handelns in der Hand behalten
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