Steinbrück - Die Biografie
Verfechter ihrer Reformpolitik, deren Gegner täglich zahlreicher wurden. In mehreren Gesprächen drängten sie Steinbrück, er möge doch in die Bundespolitik wechseln und bei der kommenden Wahl im September 2005 ein Bundestagsmandat anstreben. Es gebe genug Abgeordnete aus NRW, die aufhören wollten, wusste Müntefering, da werde sich bestimmt ein sicherer Wahlkreis finden lassen. »Peer, wir brauchen jetzt Leute wie dich.«
Steinbrück zögerte. Er hielt sich zwar oft in Berlin auf, redete mit Parteifreunden wie mit Journalisten, besuchte Buchantiquariate und Gremiensitzungen der SPD, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, für den Bundestag zu kandidieren.
Kein Wunder, dass in dieser Phase schnell Gerüchte aufkamen. Das erste wurde in Düsseldorf gestreut und war ziemlich durchsichtig: Angeblich wolle Steinbrück gleichzeitig den Vorsitz der Landes-SPD und der SPD-Landtagsfraktion anstreben, um dann als Oppositionsführer den Neuaufbau zu begleiten, hieß es in einigen Zeitungen. Der Ursprung dieser Meldung darf wohl getrost bei seinen innerparteilichen Gegnern gesucht werden – sie wollten einfach einmal einen Testballon aufsteigen lassen. Steinbrück reagierte wie von ihnen erhofft: Er strebe keines der beiden Ämter an, das sei schlechter politischer Stil, erklärte er sofort. »Ich werde doch jetzt nicht Oppositionsführer gegen Rüttgers.«
Das zweite Gerücht lag schon ein wenig näher bei der Wahrheit, denn es behauptete für Steinbrück immerhin eine herausgehobene Rolle in der Bundespolitik. Er wolle den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion übernehmen, um im Fall einer Niederlage im September die Opposition gegen Angela Merkel anzuführen. Aber auch hier begegnete Steinbrück offensiv den Spekulationen um seine Person, benutzte dabei allerdings eine unglückliche Formulierung, die ihm einiges an Ärger in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion eintrug. Er strebe keinen Sitz im Bundestag an, stellte er klar, weil er kein Mann der Legislative sei, sondern »ein Mann der Exekutive«. Auf Deutsch: Nur im Parlament sitzen und reden reichte ihm nicht – wenn schon Politik, dann regieren, so wie er es bislang in seinem ganzen Politikerleben gemacht hat. »Ich wollte ehrlich bleiben«, sagte er später dazu, »mir selbst gegenüber, weil ich mir auch eine andere Lebensplanung vorstellen konnte« ( Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.1.2005).
Doch die eigene Rollenbeschreibung wurde anders verstanden. Selbst Steinbrück freundlich gesinnte Abgeordnete in der SPD-Bundestagsfraktion werteten seine Aussage als maßlose Arroganz. Zumal er bei einer Buchvorstellung in Berlin einen seiner berüchtigten sarkastischen Sprüche losließ, der durchaus als abschätzige Umschreibung parlamentarischen Handelns missverstanden werden konnte. Zur Illustration dafür, dass Bürokratieabbau oft genug im Vorfeld an regelungswütigen Abgeordneten scheitere, wählte er einen deftigen Vergleich: »Wenn der Hund des Nachbarn im Garten furzt, wollen manche sofort das Emissionsschutzgesetz verschärfen« ( Handelsblatt , 15.9.2005). Der Unmut über den Spruch war groß, und da half es ihm wenig, wenn er kurz darauf reumütig beteuerte, er halte sich für einen Job im Parlament keineswegs für zu gut, sondern im Gegenteil für nicht geeignet.
Missverständnisse dieser Art sind typisch für Steinbrück. In der Tat sieht er, selbstbewusst wie er ist, seinen Platz in der Politik nur in einer Beteiligung an der Regierungsverantwortung. Eine Tätigkeit als eifriger und scharfzüngiger, ansonsten aber eher machtloser Debattenredner im Parlament scheidet für ihn vollständig aus. Damit ignoriert er als ehemaliger Beamter und politischer Quereinsteiger, dass im Verständnis der meisten Berufspolitiker die Ochsentour über die Partei ebenso zu einer vollständigen Karriere gehört wie eine gewonnene Wahl in einem Wahlkreis oder zumindest ein erfolgreich bestandener Kampf um einen der vorderen Listenplätze. Steinbrück hat das nie gemacht; er brauchte für seinen Weg keine parteipolitische Schornsteinkarriere. Im Stillen mag er sogar bisweilen mit Verachtung auf diesen klassischen politischen Lebensweg heruntergeblickt haben. Das spüren viele Abgeordnete, die sich vom Ortsverein über die Kommunalpolitik bis in den Bundestag hochkämpfen mussten. Das ist wohl auch der Grund, weshalb zwischen Steinbrück und der SPD-Bundestagsfraktion oft eine atmosphärische Distanz zu spüren war und ist. Zumal er immer wieder der Versuchung
Weitere Kostenlose Bücher