Steinbrück - Die Biografie
erliegt, seine Positionen mit beißendem britischem Humor drastisch zu verdeutlichen. Mit Beispielen wie dem furzenden Hund in Nachbars Garten erntete er zwar viele Lacher im Publikum, bei den eigenen Leuten hingegen meist nur Frust und Ärger. Deshalb sind seine ärgsten Feinde bis heute seine rhetorisch brillante Spottlust und die ausgeprägte Neigung, sich damit in der SPD um Kopf und Kragen zu reden.
Als im Endspurt des Bundestagswahlkampfs 2005 neue Gerüchte darüber auftauchten, dass Steinbrück in einer möglichen Großen Koalition die Ämter des Finanzministers und des Vizekanzlers anstrebe, wurde es SPD-Chef Müntefering zu viel. Er nahm sich Steinbrück, der diesmal den Spekulationen in den Medien nichts entgegensetzte, in einem Vieraugengespräch ordentlich zur Brust. Wenn er, der abgewählte Ministerpräsident von NRW, sich schon für ein Bundestagsmandat zu schade sei, solle er sich von der Presse jetzt nicht zum Schröder Nummer zwei ausrufen lassen, forderte Müntefering. Und er, der Genosse Peer, solle zudem nicht glauben, er könne überall in Berlin ein gewichtiges Wort mitreden. Müntefering machte unmissverständlich deutlich, dass er an seinem Führungsanspruch als SPD-Chef nicht rütteln lasse. Wenn es nach der Wahl Koalitionsverhandlungen geben sollte, dann werde er diese führen und kein anderer. Steinbrück sei sicherlich als Finanzminister geeignet, aber wenn er so weitermache, werde er auch das sicher nie.
Die Ansage war deutlich, Steinbrück verstand und nahm sich etwas zurück. Allerdings war in diesem Wahlkampfendspurt bereits klar geworden, dass auf den Kanzler selbst niemand mehr zählte. Wenn überhaupt, dann reichte es für die SPD allenfalls noch zur Juniorrolle in einer Großen Koalition. Das vermittelten zumindest die Umfragen. In der Tat wurde bei Interviews und in Talkshows nicht mehr über Rot-Grün als Option geredet, sondern nur noch über Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot. Die SPD setzte dem nur wenig entgegen. Damit war aus Schröders Sicht das wichtigste Gebot des Wahlkampfs verletzt. Über wenig hat sich der Kanzler in dieser Zeit so aufgeregt wie über seine Minister. Ob Otto Schily, Hans Eichel oder Wolfgang Clement; sie alle stimmten Partei und Wähler in verschiedenen Variationen bereits auf die Zeit nach Schröder ein, wenn sie weitschweifig darüber philosophierten, dass eine Große Koalition nichts Schlimmes sei. Schröder verstand das so, wie es gemeint war: Seine Prätorianergarde hatte ihn längst aufgegeben. In einer Sitzung des SPD-Vorstands ließ der Kanzler seinem Frust noch einmal freien Lauf. Es sei für ihn »nicht zumutbar, Verhandlungsmasse« zu sein, gab er zornig zu Protokoll. »Ich lasse mich nicht zum Kasper machen.«
Vielleicht war die Enttäuschung, ja Wut über diesen Verrat auch die tiefere Erklärung für den unsäglichen Auftritt, den Schröder am Wahlabend in der sogenannten »Elefantenrunde« im Fernsehen lieferte. Eigentlich nehmen die Parteivorsitzenden an dieser Runde teil, aber Schröder entschied sich kurz vor der Sendung, anstelle von SPD-Chef Müntefering selbst ins Studio zu gehen. Woraufhin Joschka Fischer ebenfalls anstelle eines Vorsitzenden seiner Partei erschien. Das Ergebnis war unerwartet knapp für Angela Merkel und die Union ausgefallen. Mit 35,2 Prozent lagen CDU/CSU nur hauchdünn vor der SPD mit 34,2 Prozent. Die Grünen kamen auf 8,1 Prozent, die FDP auf 9,8 Prozent und die Linken auf 8,7 Prozent – ein Plus von satten 4,7 Prozentpunkten übrigens, das wesentlich von enttäuschten SPD-Wählern herrührte. Damit war die Messe gesungen: Rot-Grün hatte keine Mehrheit mehr, Schwarz-Gelb ging genauso wenig, und so blieb nur die Große Koalition unter Führung der Union. Schröder, der bis zum letzten Tag entschlossen gekämpft hatte, war maßlos enttäuscht. Vor allen Dingen in den letzten Tagen habe es, so die Auskunft der Demoskopen, einen enormen Rutsch bei der Union und einen bemerkenswerten Zuwachs bei der SPD gegeben. Zwei Wochen mehr und Schröder hätte diese so aussichtslos begonnene Wahl am Ende doch noch gewonnen, spekulierte damals Forsa-Chef Manfred Güllner.
Mit diesem Gefühl, nur ganz knapp am Sieg vorbeigeschrammt zu sein und es der Union noch einmal ordentlich gezeigt zu haben, kam der Kanzler dann breitschultrig und testosteronaufgeladen in die Fernsehrunde. Obwohl er sich während des gesamten Wahlkampfs mit großer Disziplin an die Vorgabe gehalten hatte, Angela Merkel niemals so anzugehen, dass sein
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