Steinbrück - Die Biografie
Angriff als unfair oder ungehörig gegenüber einer Frau verstanden werden konnte, ließ er plötzlich alle Zurückhaltung fallen. »Was den Kanzler dabei geritten hat, weiß der Teufel oder nur er alleine, auf jeden Fall attackierte er wutschnaubend und triumphierend zugleich … eine Angela Merkel, die angesichts ihres Wahldebakels wie benommen wirkte«, erinnert sich Joschka Fischer in einem Buch an den denkwürdigen Abend ( I’m not convinced. Der Irakkrieg und die rot-grünen Jahre , Köln 2011, S. 346). »Mit diesem tobenden Machoauftritt hat Gerhard Schröder ihr wahrscheinlich die Kanzlerschaft gerettet«, glaubt Fischer bis heute. »Hätte er sich darauf beschränkt zu erklären, dass die SPD mit der Union über die Bildung einer Koalition verhandeln würde, egal wer Parteivorsitzender sei, denn Frau Merkel habe ja morgen ihr Debakel erst einmal ihren Parteigremien zu erläutern, dann bin ich mir nicht sicher, ob Angela Merkel die nächsten Tage nach der Bundestagswahl 2005 unbeschadet überstanden hätte.«
Es kam anders, denn Merkel behielt die Nerven, während Schröder sie im entscheidenden Moment verlor. Angesichts des Wahlausgangs konnte es kein anderes Ergebnis als eine Große Koalition geben. Weil der Union und ihrer Vorsitzenden der Schreck über das unerwartet knappe Resultat noch lange in den Gliedern saß, gelang es der SPD in den Verhandlungen zur Regierungsbildung recht schnell, wesentliche Kabinettsposten für sich zu reklamieren. Die größte Überraschung war, dass Müntefering, den die meisten Beobachter eher in der Rolle des machtvollen Partei- und Fraktionschefs gesehen hatten, sich als neuer Arbeits- und Sozialminister der Kabinettsdisziplin unterwarf und auf diese Weise die Funktion des Vizekanzlers neben Merkel erhielt.
Warum er sich für den Job in der Regierung entschied, hatte nur zum Teil etwas mit Eitelkeit und der verlockenden Aussicht zu tun, auf Augenhöhe mit der Kanzlerin zu sitzen. Ein wesentliches Motiv war wohl Münteferings Misstrauen. In das neue schwarz-rote Kabinett zogen Sozialdemokraten ein, die ihm in vielen Fragen suspekt waren und die er lieber aus der Nähe beobachten und kontrollieren wollte: Justizministerin Brigitte Zypries und Außenminister Frank-Walter Steinmeier waren alte Vertraute Schröders aus Niedersachsen. Beide entfalteten viel reformerischen Ehrgeiz, stammten aber nicht aus dem Bauch der SPD. Sie waren von außen dazugekommen, verfügten über keine Hausmacht in der Partei, und Müntefering war nicht sicher, ob Leute ihres Schlages das Bedürfnis der alten Tante SPD nach Erklärung und Zuneigung ausreichend respektierten.
Das traf genauso auf Peer Steinbrück zu, der als Finanzminister so gut wie feststand. Müntefering schätzte zweifellos sein großes Fachwissen und seine breite Erfahrung in vielen Regierungsämtern – auch seinen aufrechten Kampf für die Agenda 2010. Zugleich spürte der Sauerländer jedoch die Distanz des Hamburgers zur SPD. Zudem dürfte er nicht vergessen haben, dass Steinbrück Spekulationen über eine künftige Rolle als Vizekanzler unwidersprochen gelassen hatte.
Aus Sicht von Merkel galt Steinbrück als Idealbesetzung. Sein Ruf als Grünenfresser erhob ihn trotz seiner Beteiligung an rot-grünen Regierungen in Kiel und Düsseldorf über jeden Verdacht, ein verkappter Anhänger der gerade beendeten rot-grünen Ära zu sein. Mit wohlgefälligem Schmunzeln dürfte Merkel ein Wahlplakat der Grünen in NRW zur Kenntnis genommen haben, auf dem diese ihren früheren Regierungschef zur Abschreckung verwendeten. Dazu wurde ein Plakat der Linkspartei verfremdet, auf dem ursprünglich ein lachender Oskar Lafontaine und ein ihn anhimmelnder Gregor Gysi zu sehen waren. Mit neuen Köpfen lachte jetzt der abgewählte Steinbrück die Unionsspitzenkandidatin Angela Merkel an. Darunter stand: »Gegen die Große Koalition hilft nur eins: Zweitstimme grün«.
Kompatibel in den Reihen der Union machte ihn auch die Koch-Steinbrück-Liste, jene Sammlung von Vorschlägen zur Subventionskürzung, die er 2003 mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ausgearbeitet hatte. Nicht zuletzt enthob seine Berufung die Union auch der peinlichen Frage, was sie mit ihrem »Schattenminister« für das Finanzministerium, dem Heidelberger Professor Paul Kirchhof, machen sollte. Der war von Schröder in verächtlicher Weise angegangen worden, hatte aber durch professorale Hartnäckigkeit und mangelnde Medienerfahrung mit dazu beigetragen, der
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