Steinbrück - Die Biografie
SPD in der Finanzpolitik eine offene Flanke zu bieten. Sein radikales Steuermodell bot reichlich Gelegenheit für Kritik. Demnach sollten alle Einkommen nach dem gleichen Tarif versteuert werden – egal ob Löhne, Unternehmensgewinne oder Kapitalerträge. Jahreseinkommen bis 10 000 Euro wären steuerfrei gewesen, alle Einkünfte darüber wären mit 15, 20 und 25 Prozent versteuert worden. Im Gegenzug plädierte Kirchhof dafür, sämtliche Ausnahmen und Steuerprivilegien zu streichen. Dazu zählte etwa auch ein steuerfreier Lohnzuschlag für Nachtarbeit. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung im Wahlkampf wurde Kirchhof deshalb von der SPD unsoziale Politik vorgeworfen. Er streiche einem Feuerwehrmann die steuerfreien Nachtzuschläge, senke aber für die Reichen die Spitzensteuer von damals 49 Prozent auf 25 Prozent. Solche Vorwürfe taten ihre Wirkung. Der Streit um Kirchhofs radikales Steuerkonzept war nach den Analysen mehrerer Meinungsforschungsinstitute ein Grund für das unerwartet schlechte Abschneiden der CDU/CSU bei der Bundestagswahl.
Von parteipolitischen Erwägungen und Rücksichtnahmen einmal abgesehen, gehört das Amt des Finanzministers zu den schwierigsten Posten, die in der Regierung zu vergeben sind. Überall liegen Fallstricke aus. »Damit kann man keine Popularitätswettbewerbe gewinnen«, warnte Matthias Platzeck denn auch seinen Parteifreund Steinbrück. In der Tat sah die Eröffnungsbilanz des neuen Kassenwarts in Berlin erschreckend aus: Im Bundeshaushalt klaffte zwischen den regelmäßigen Einnahmen des Bundes und den Ausgaben eine Lücke von 64 Milliarden Euro. Gleichzeitig lahmte die Wirtschaft, während die Sozialabgaben von Jahr zu Jahr stiegen. Die Neuverschuldung erreichte für 2005 mit 41 Milliarden Euro einen erneuten Höchststand. Für den neuen Mann an der Spitze des Finanzministeriums trotzdem kein Grund, vor der schwierigen Aufgabe zurückzuweichen. »Man muss die Herausforderungen so nehmen, wie sie sind«, erklärte Steinbrück nach seiner Vereidigung.
Er hat durchgehalten, Nervenstärke bewiesen und auf sein Können vertraut. Kein halbes Jahr nach seiner Abwahl in Düsseldorf war Steinbrück in Berlin angekommen und zu einem der wichtigsten Männer der neuen Bundesregierung geworden. Wieder einmal bewahrheitete sich die Richtigkeit seiner kämpferischen Einstellung: Egal wie groß die Niederlage ist – du darfst niemals aufgeben.
Kapitel 9
Schach dem Sponsor
A m 10. April 2006 erhielten Kai Uwe Ricke und Klaus Zumwinkel einen gleichlautenden Brief aus Berlin. Absender war der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. Wie immer, wenn es Post von der Bundesregierung gab, klingelten in den Bonner Chefetagen bei der Deutschen Telekom AG und der Deutschen Post AG sofort alle Alarmglocken.
Der Grund für die hohe Aufmerksamkeit ist einleuchtend: Auch viele Jahre nach der Aufspaltung der staatlichen Bundespost in Telekom, Post und Postbank spielt die Bundesrepublik als Hauptanteilseigner nach wie vor die entscheidende Rolle. Oder um es genauer zu sagen: Der Bund ist der größte Eigentümer und damit der Boss. Und der Boss bestimmt nun einmal in jeder Firma, wo es langgeht. Zwar sind die drei Rechtsnachfolgeunternehmen der Post heute als private Aktiengesellschaften organisiert und werden von einem Vorstand mit Managern aus der privaten Wirtschaft geführt. Doch der Arm des Staates reicht weit, und der Einfluss der Politik bei Telekom und Post ist nach wie vor sehr hoch.
Kai Uwe Ricke, der damalige Telekom-Chef, und Klaus Zumwinkel, zu dieser Zeit Vorstandsvorsitzender der Post, waren also gewarnt. Zumal Peer Steinbrück als Bundesfinanzminister derjenige war, der für die Regierung von Amts wegen alle Unternehmensbeteiligungen des Bundes verwaltete. Stets ist auch einer der Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium Mitglied des Aufsichtsrats bei Post und Telekom – schaut also den Vorständen dort direkt auf die Finger.
Was mochte Steinbrück in dem persönlichen Brief an die Chefs seiner beiden größten und wichtigsten Unternehmen wohl ansprechen? War ihm angesichts der Löcher im Bundeshaushalt die Rendite von Post und Telekom wieder zu gering? War er erneut frustriert über den schwachen Aktienkurs der Telekom? Oder handelte es sich um eine dieser zahlreichen Beschwerden über Versorgungslücken beim Internet oder neuen Unmut über die geplante Schließung von Callcentern und Postdienststellen im ländlichen Bereich?
Solche Schreiben von Amtsträgern sind
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