Steinbrück - Die Biografie
geherrscht hat. Unten im Hof steht direkt neben dem Eingang wie immer die Dienstlimousine bereit. Der frisch gebackene Exminister geht auf das Auto zu, aber niemand öffnet ihm den Wagenschlag. Also versucht er selbst, die Tür aufzumachen. Doch der Chauffeur hat das Auto von innen verriegelt. Als er seinen ehemaligen Chef sieht, lässt er die Fenster herunter und sagt mit gequälter Miene, dass er ihn jetzt, wo er nicht mehr Minister sei, leider nicht länger fahren dürfe. »Aber ich kann Ihnen gerne ein Taxi rufen«, fügt der Fahrer dienstbeflissen hinzu. Der Exminister schluckt, reißt sich zusammen und stimmt zu. Als er dann im Taxi sitzt, merkt er, dass er weder Bargeld in der Tasche hat, noch aus dem Kopf die Adresse von seinem Bundestagsbüro nennen kann.
Die Geschichte findet sich in einem grandiosen Buch mit dem Titel Höhenrausch . Der langjährige Spiegel -Korrespondent Jürgen Leinemann hat es verfasst. Meisterhaft beschreibt er darin das merkwürdige und entrückte Leben der Spitzenpolitiker, ihre Sucht nach Macht und ihre unentrinnbare Abhängigkeit von Aufmerksamkeit und Einfluss.
Peer Steinbrück kennt das Buch. »Hab ich gelesen«, antwortete er knurrend dem Besucher, der ihn einige Wochen nach der verlorenen Wahl in seinem beengten Bundestagsbüro aufsuchte. Der schlichte Raum mit der Nummer 4028 lag zwar am berühmten Berliner Boulevard »Unter den Linden«, aber was war schon so eine Minibleibe in einem nüchternen Bürogebäude gemessen an den weitläufigen Fluren des Bundesfinanzministeriums? Wer Steinbrück früher dort besuchte, musste durch ein riesiges Foyer gehen, Sicherheitsschleusen und Kontrollen passieren und lange hallende Gänge durchschreiten, bis er schließlich in das Allerheiligste, das Ministerbüro, vorgelassen wurde.
Jetzt trat man einfach von der Straße aus ein, zeigte dem Pförtner seinen Presseausweis und klopfte eine Minute später beim Bundesminister a.D. an die Tür. Mit seiner »MdB-Wabe«, wie die kleinen Büros für die Parlamentarier spöttisch genannt werden, befand sich Steinbrück in bester Gesellschaft. Außer ihm residierten nach der verlorenen Wahl im sogenannten »roten Rentnerflügel« des Gebäudes auch andere sozialdemokratische »Silberrücken«. Ein paar Türen weiter hatte zum Beispiel Exkanzler Gerhard Schröder sein Büro. Auch die Bleibe des früheren Arbeitsministers Franz Müntefering lag nicht weit entfernt. Inzwischen ist Steinbrück in ein anderes Gebäude des Bundestags umgezogen, dichter am Plenum und an der Fraktions- und Parteiführung. Steinbrück im »Rentnerflügel«, das passte nicht mehr.
Es war ziemlich schwierig, ihn nach dem Wahldesaster 2009 zu einem ersten Interview zu überreden. Eigentlich müsste der Mann jetzt Zeit genug haben, hatte man sich gedacht. Zeit zum Lesen, zum Rosenzüchten und auch Zeit für Gespräche mit Journalisten. Doch weit gefehlt. Sonja Stötzel, seit Jahren die rechte Hand von Steinbrück und eine einfallsreiche Managerin seines komplizierten Terminkalenders, vertröstete die Medienvertreter immer wieder mit ihrer unerschütterlichen Freundlichkeit. Als schließlich ein Termin zustande kam, kreiste das Gespräch erst einmal um Befindlichkeiten. »Was wollen Sie denn noch von mir«, murmelte Steinbrück gereizt. Man solle lieber den neuen Amtsinhaber ausfragen und nicht mehr ihn. Außerdem stehe er für »verbale Revanchefouls« oder für »Jetzt-pack-ich-ausInterviews« sowieso nicht zur Verfügung. Auch zu Fragen der aktuellen Finanzpolitik werde er sich nicht äußern, kündigte er gleich zu Beginn an. Das wäre schlechter Stil gegenüber dem Nachfolger. »Das tue ich ihm nicht an und mir auch nicht.«
Das raue Gebrumm am Anfang gehört zu einem Steinbrück-Interview wie das Amen zum Gottesdienst. Natürlich juckt es ihn, den Vollblutpolitiker, grundsätzlich immer in den Fingern, sich öffentlich zu äußern, ob er nun gerade ein Amt bekleidet oder nicht. Natürlich würde es ihn sehr wohl auch reizen, etwas über Wolfgang Schäuble zu sagen. Sein Amtsnachfolger hat als neuer Bundesfinanzminister beispielsweise ebenfalls gestohlene CDs mit Bankdaten deutscher Steuerflüchtlinge aufgekauft und damit die Geldhäuser in Liechtenstein und der Schweiz das Fürchten gelehrt. Diesen Triumph hätte Steinbrück selbstverständlich gerne selbst noch ausgekostet, schließlich ist er als Jäger deutscher Steuerflüchtlinge und Kritiker des Schweizer Bankgeheimnisses mehrfach in den Schlagzeilen aufgetaucht.
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