Steinbrück - Die Biografie
Steinbrücks berühmt-berüchtigte Drohung, die Kavallerie aus Fort Yuma ausreiten zu lassen, wurde in der eidgenössischen Alpenfestung fast als Kriegserklärung gedeutet. Manche sahen darin sogar einen gezielten teutonischen Angriff auf das Schweizer Finanzwesen und damit auf den Lebensnerv des Landes.
Steinbrück schiebt das Kinn vor und grinst, als das Gespräch auf die neuesten Steuer-CDs und die Schweiz kommt. Die Spottlust steht ihm ins Gesicht geschrieben, daran hat auch die verlorene Wahl nichts zu ändern vermocht. Man erkennt genau, dass ihm die Erinnerung an diesen aufgeheizten Streit mit den Schweizer Bankiers immer noch sichtbares Behagen bereitet. Ist es nicht lustig, wie pikiert die Eidgenossen reagiert haben? In dieser Mischung aus schlechtem Gewissen, ehrlicher Wut und gespielter Entrüstung? Steinbrück zeigt sein Haifischlachen. Und wie er, der Finanzminister, damals plötzlich die ganz große Mehrheit der Deutschen hinter sich scharen konnte, als er der Schweiz Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorwarf, ohne das natürlich jemals in dieser Klarheit auszusprechen? Köstlich war das und bereitet ihm noch im Nachhinein eine diebische Freude. Nur seine spöttische Äußerung mit der Kavallerie, die sei ein »Fehler« gewesen, wie er öffentlich eingestehen muss. Aber Spaß gemacht hat ihm diese Rauferei trotzdem – das ist typisch für Steinbrück. Und deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die SPD das Thema Steuerhinterziehung in der Schweiz auch 2013 im Wahlkampf wieder zur Sprache bringen wird.
Jetzt füllt der Exminister mit seiner unverbrauchten Energie das kleine Abgeordnetenbüro vollständig aus. Wenn er über der Rückenlehne des schmalen Sofas die Arme ausbreitet und seine langen Beine vorschiebt, weicht man im Besuchersessel unwillkürlich zur Seite. Auch die kräftige Stimme schallt von den Wänden zurück. Der Raum ist erkennbar zu eng für ihn. Man spürt es gleich beim Betreten, dass es ihn hier nicht lange halten wird.
Wie es ihm jetzt so ergehe, so ganz ohne Einfluss, ohne Macht und ohne die Heerscharen von Beamten, die auf das kleinste Zeichen von ihm warten? Wie fühlt man sich plötzlich ohne die Anrufe von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder ohne die SMS von Kanzlerin Angela Merkel? Wie geht es einem Spitzenpolitiker ohne das Blitzlichtgewitter der Fotografen und ohne die Medien, die begierig jedes Wort von ihm aufnahmen?
Steinbrück zuckt mit den Schultern und sagt dann sehr ernst, dass er nach dem Ausscheiden aus dem Amt genau in sich hineingehorcht habe, ob es irgendwelche Anzeichen von Abhängigkeit gebe. Ob er also auf »Entzug« sei von der Droge Politik oder sich noch in jenem »Höhenrausch« befinde, den Jürgen Leinemann so trefflich beschrieben hat.
Das Ergebnis seiner Selbstprüfung sei eindeutig ausgefallen: »Sie glauben gar nicht, wie herrlich es ist, endlich einmal nicht mehr von morgens bis abends verplant zu sein«, versichert der frisch abgewählte Bundesminister mit Nachdruck. Er genieße »die neuen Freiräume«, denn: »Es ist wirklich ein Geschenk, wenn man nicht auf Monate hinaus festgelegt ist.«
Steinbrück redete nach der verlorenen Bundestagswahl mit solcher Inbrunst über die Vorzüge des neuen, freien Lebens, dass man sich schnell fragte, warum dann sein Terminkalender bereits wieder so randvoll gefüllt war mit Verpflichtungen und Projekten. Eben noch Finanzminister und Weltenretter und jetzt schon entspannter Politikpensionär?
Die meisten, die ihn in dieser Zeit erlebten, konnten das kaum glauben. Was wollte so ein Kraftwerk wie Steinbrück denn machen, wenn plötzlich mal eine Bundestagsdebatte oder eine Ausschusssitzung ausfiel und ab 16 Uhr nichts mehr auf dem Programm stand? Etwa ins Café Einstein hinüberschlendern, sich ein Stück Kuchen bestellen und in Ruhe Romane lesen?
Steinbrücks Frau Gertrud musste eindrücklich erleben, was ihr Mann mit seiner überschüssigen Energie anfing. Kistenweise Bücher bestellte er im heimischen Bonn, räumte sein Zimmer um, sortierte die mit Literatur und Marinegeschichte vollgestopften Bücherwände neu und sorgte im ganzen Haus für große Unruhe. Zum Glück gab es nach dem Ausscheiden aus dem Amt ein Projekt, das Steinbrück bereits früher ins Auge gefasst hatte – eine Idee, die ihn stark beschäftigte, intellektuell reizte und die ihn wieder ins Gespräch bringen würde: ein Buch.
Verschiedene Verlage hatten ihn lange vor der Wahl 2009 bedrängt. Wenn er, der Manager der Krise,
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