Steine der Macht - Band 4
Lufthauch war zu spüren. Der Tau der Nacht lag noch auf den Grashalmen. Während er zwischen den Olivenbäumen zum Haus ging, schaute er hinunter auf den Atlantik. Tatsächlich lag jetzt eine Art Nebel weit draußen über dem Meer. Oder war das nur Dunst, der fast jeden Morgen über dem Wasser zu sehen war?
Wolf wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als Perez plötzlich die Tür öffnete und ihn begrüßte. „Wir haben Glück, kommen Sie herein und sehen Sie selbst.“
Perez hatte bereits die Plane vom Fernrohr heruntergenommen und führte Wolf auf die Terrasse hinaus. Mit bloßem Auge konnte man nur einige Nebelschwaden am Horizont erblicken. Perez schaute durch das Fernrohr, stellte es offensichtlich genau ein und bedeutete Wolf, auch hindurchzusehen.
„Das gibts ja nicht!“, entfuhr es Wolf, als er die beiden Vulkane von San Borondon erblickte. „Ja, das ist die Insel, die ich im vorigen Jahr vom Flugzeug aus gesehen habe.“
Perez lächelte. „Ich freue mich, dass wir Glück gehabt haben und Sie sich selbst davon überzeugen konnten von dem, was ich Ihnen gestern Abend erzählt habe. Manchmal sieht man wochenlang gar nichts, aber womit das zusammenhängt, weiß ich nicht.
Es ist so, Sie haben jetzt San Borondon gesehen, aber glauben Sie ja nicht, dass wir nun mit einem Schiff auch dorthin fahren könnten. Wir würden dort nichts finden, nur die endlosen Weiten des Atlantiks.“
Wolf war erstaunt, denn mit dem Flugzeug hatte er selbst ja auch dorthin gefunden. Und jetzt meinte Perez, dass da nichts zu sehen wäre.
Bevor er ihn noch etwas fragen konnte, meinte der alte Fischer: „Wie schon gesagt, ich vermute, dass es, zumindest sehr oft, auf den Betrachtungswinkel ankommt.
Ich habe im Laufe meines Lebens feststellen müssen, dass es doch mit fast allen Dingen so ist. Der eigene Standpunkt und die Position des Objekts, welches man sich ansieht, bestimmen dessen Eigenschaften. Verzeihen Sie, wenn ich jetzt etwas ins Philosophieren geraten bin.
Auch mit dem Flugzeug hatten Sie einen anderen Winkel als ich von der See aus. Und hier oben am Berg schauen wir in einem ähnlichen Blickwinkel in Richtung San Borondon. Das wäre zumindest eine Erklärung, weshalb man nicht immer dasselbe sieht. Weshalb man aber auch zuweilen auf dem Meer dorthin gelangen kann, ist mir wie gesagt ein Rätsel.“
Mittlerweile war eine leichte Brise aufgekommen und die Nebelbänke lösten sich allmählich auf. Als Wolf nochmals durch das Teleskop schaute, war die Insel bereits verschwunden. Verschwunden in der Zeit.
Perez, dem Wolfs erstaunter Blick nicht entgangen war, meinte: „Ja, so ist es immer, bei klarem Wetter, wenn man glaubt, beste Sicht zu haben, dann ist sie weg. Ich habe schon lange nichts mehr darüber erzählt. Die Leute hier halten mich ohnehin schon für verrückt, seit ich damals vor vielen Jahren davon berichtete, dass ich die Insel gefunden habe.
Sie wollten alle mit mir hinausfahren und ich sollte ihnen zumindest die Stelle zeigen, wo sich San Borondon befindet. Aber das war unmöglich.
Erst viel später habe ich bei einer Wanderung hier am Berg mit einem kleinen Teleskop die Vulkane von San Borondon gesehen. Aus diesem Grund musste ich mir auch hier an diesem Platz mein Häuschen bauen. Es ist eine der wenigen Stellen, an der dieses unglaubliche Phänomen auftritt. Eines Tages werde ich wieder zur Insel fahren, aber dann gehe ich auch dort an Land. Ich möchte nur zu gerne wissen, was diese Türme und Kuppelbauten bedeuten.“
Wolf war tief beeindruckt von dem soeben Gesehenen und davon, was ihm der Fischer erzählt hatte. Er bedankte sich überschwänglich bei ihm und versprach, ihn zu informieren, falls er noch etwas herausfinden würde. Perez hatte sogar eine E-Mail-Adresse und tauschte diese mit Wolf aus. Sie würden in Kontakt bleiben.
Wolf verbrachte den Rest des Tages mit einer Fahrt in den Süden der Insel.
Insgeheim hegte er die Hoffnung, von irgendeiner Stelle der Straße doch noch San Borondon sehen zu können. Stattdessen ragten auf der linken Seite einige beeindruckende Vulkane empor.
Am nächsten Vormittag fuhr er wieder zum Flughafen von La Palma, gab dort seinen Mietwagen zurück und wartete im Café auf Raiko. Pünktlich war dieser mit der kleinen Piper wieder zur Stelle und wollte sofort von Wolf wissen, ob er etwas Neues über San Borondon herausgefunden hätte.
„Weißt du, ich habe mit einigen Leuten gesprochen, aber die halten das allesamt für eine nette Geschichte und
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