Steine der Macht - Band 5
„Zeitreiseweg“ für die Kinder, so hatte die Führerin im Schloss erzählt, welcher mit seinen lustigen Figuren eher an Micky Maus und Disneyland erinnerte.
„Einfach geschmacklos“, meinte Elisabeth, „stell dir vor, solche Figuren würden an einer Totengedenkstätte oder auf einem Friedhof aufgestellt sein.“
„Na, so ist die heutige Zeit eben – alles für die Spaßgesellschaft. Die Kinder verstehen ja diese grauenvollen Dinge nicht, welche damals geschehen sind, aber Spaß sollen sie hier trotzdem haben – sogar an einer solchen traurigen Stätte“, antwortete Peter, der Architekt und zog dabei seine Augenbrauen hoch.
„Vielleicht gibt es hier sogar bald einmal ein Fest an dieser Richtstätte, mit Musik, Würstelgrillen und Bierausschank“, meinte Herbert, „damit könnte man doch sicher auch ein paar Leute anlocken.“
„Diese Idee müsste man den Verantwortlichen der Gedenkstätten in den Konzentrationslagern Dachau oder Mauthausen nahebringen. Ob die dort auch so etwas veranstalten würden?“, überlegte Wolf.
„Das glaube ich kaum“, meinte Claudia, „bei uns in Deutschland sind an unzähligen Stätten, an denen sogenannte „Hexen und Zauberer“ hingerichtet wurden, Gedenksteine und Tafeln aufgestellt, mit denen auf die Grausamkeiten von damals hingewiesen wird, aber von so etwas wie hier habe ich noch nie gehört.“
Am Beginn dieses Rundwanderweges befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem sie ihre Autos abgestellt hatten. Peter blieb vor einer großen Tafel stehen. Er rief:
„Schaut einmal her, was hier geschrieben steht!“, und begann vorzulesen:
„… es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …“ Bevor er weiterlesen konnte, unterbrach ihn Elisabeth und meinte: „Ich verstehe nicht ganz, was der Verfasser mit ‚damaliger Gesellschaft‘ gemeint hat. Meines Wissens bedeutet Gesellschaft doch die Gesamtheit der Bevölkerung, wie etwa Bettler, Bauern, Handwerker, Adelige und Herrscher. Der hätte das nicht extra betonen müssen, denn es ist ohnehin einleuchtend, dass nicht die gesamte damalige Gesellschaft für die Hexenverfolgungen zu verurteilen ist.“
„Natürlich“, erwiderte Wolf, „verurteilen muss man aber denjenigen, der dafür verantwortlich war, denn diese Verbrechen wurden ja auch nicht von der Gesellschaft angeordnet, sondern einzig und allein vom Erzbischof persönlich. Aber solch eine Aussage wollte der Verfasser offensichtlich nicht machen, denn so einem Kirchenmann wird man hierzulande auch nach über dreihundert Jahren nicht die Verantwortung für diese Taten anlasten wollen. Es handelte sich doch um den angeblich so guten, christlichen Erzbischof.“
„Nun stellt euch einmal vor, so eine Tafel würde vor den als Mahnmal übrig gelassenen Ruinen eines im Krieg zerstörten Dorfes in Frankreich oder in Tschechien stehen oder vielleicht bei den Gedenkstätten in Mauthausen oder in Dachau. Auch dort kamen unschuldige Menschen zu Tode, genauso wie hier. Wenn man da ein Schild aufstellen würde, auf dem zu lesen wäre: ‚Es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …‘ – na, was glaubt ihr, was dann geschehen würde?“
Ein Raunen ging durch die kleine Runde.
„Aber das hier war ja eine Richtstätte, wurden hier nicht verurteilte Verbrecher hingerichtet?“, fragte Claudia.
Wolf seufzte: „Leider nein, oder zumindest nur sehr wenige. Die meisten der Getöteten fielen dem Hexenwahn und der Machtgier der Kirche zum Opfer. Die Prozessakten, die heute noch für jedermann zugänglich sind, sprechen eine deutliche Sprache.“
Wolf fuhr fort:
„Zu dieser Zeit gab es bittere Armut hier in unserem Land. Während dieser Erzbischof für seine Verwandten und Günstlinge prachtvolle Palais bauen ließ und Kirchen errichtete, welche wohl eher seinem Ruhme als der Ehre Gottes dienen sollten, vegetierte das einfache Volk dahin und viele konnten sich nur durch Betteln vor dem Verhungern retten. Das barg sozialen Sprengstoff und daher mussten diese Bettler, welche überwiegend minderjährige Kinder waren, verschwinden. Was war einfacher, als die aufgegriffenen Personen der Hexerei zu beschuldigen. Spätestens nach Anwendung der Folter, welche man ‚Peinliche Befragung‘ nannte, ‚gestand‘ dann fast jeder alles, dessen man ihn bezichtigte. Anschließend wurden die Verurteilten, unter denen sich sogar zehnjährige Mädchen befanden, dem Scharfrichter überantwortet und starben qualvoll auf dem
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