Steine der Macht: Das Isais-Ritual am Untersberg (German Edition)
Sie als Stadtpfarrchorregent wirken werden. Hier wo diese Kirche steht, da, wo wir uns jetzt gerade befinden, wird in über einhundert Jahren eine Gedenkkapelle stehen, die den Namen eures Liedes tragen wird. Und ihr beide werdet auf Glasbildern in dieser Kapelle verewigt sein. Und so, wie Sie aus dem Nano I-Pod von Bruder Lindus gerade gehört haben, wird ihr Lied in zweihundert Jahren in aller Welt zu hören sein und man wird es in alle Sprachen übersetzen.“
Wolf reichte Gruber zum Abschied die Hand und meinte: „Es freut mich sehr, dass wir Sie heute besuchen durften. Glauben Sie mir, wir haben einen sehr weiten Weg hierher zu Ihnen gehabt.“
Der Lehrer schaute ihn mit einer hilflosen, ja beinahe entsetzten Miene an: „Wer seid ihr? Um Christi willen, sagt, wer ihr seid!“
„Von uns habt ihr nichts Schlimmes zu erwarten, möge der Herr mit euch sein“, sprach Wolf mit würdevoller Stimme.
Linda fragte noch: „Darf ich Ihre Gitarre einmal kurz in die Hand nehmen?“
Der nun vollends durcheinandergebrachte Lehrer gab Linda das Instrument in die Hand, sie fuhr mit ihren zarten Fingern darüber, und ein paar Saitenklänge erfüllten die leere, schon fast finstere Kirche. Dann machten sie sich auf den Weg.
Sie gingen raschen Schrittes aus dem Gotteshaus. Durch den frisch gefallenen Schnee stapften sie zum Pfarrhof hinüber und legten sich zur Ruhe. Der morgige Tag würde bestimmt anstrengend werden, und sie sollten ausgeschlafen sein. Bevor Linda unter die Decke schlüpfte, meinte sie noch:
„Als mir der Lehrer die Gitarre in die Hand gegeben hat, habe ich mit dem Fingernagel eine ganz kleine Kerbe auf der Rückseite an den Rand geritzt. Diese Gitarre befindet sich doch bei uns in der Salinenstadt im Museum, und ich werde später einmal nachsehen, ob diese Kerbe wirklich auch dort ist.“
„Bestimmt wirst du sie finden, es ist ja die Originalgitarre“, sagte Wolf, bevor er einschlief.
Kapitel 30
Christtag 1818
Kurz nachdem es draußen hell geworden war, kam die kleine offene Kutsche des Gastwirts zum Pfarrhof, um die beiden Mönche abzuholen. Der Wirt selbst saß am Kutschbock des Zweispänners. Es herrschte klirrend kaltes Winterwetter. Über Nacht waren gut zehn Zentimeter Schnee gefallen. Heute, am Christtag, war jedoch schönes Wetter. Vereinzelt konnte man schon den blauen Himmel durch die dichten Nebelschwaden sehen, welche sich in der Nähe des Flusses gebildet hatten.
Der Wirt hatte ein paar Decken dabei, mit denen sich Wolf und Linda auf der Fahrt nach Salzburg vor der Kälte etwas schützen konnten. Kerzengerade stieg der Rauch aus den Kaminen der Häuser auf und verbreitete in den Gassen den Geruch verbrannten Holzes, ein Duft, den die zwei seit ihrer Kindheit nicht mehr gerochen hatten.
Nachdem sie auf die offene Kutsche gestiegen waren und sich die schweren Decken um den Leib gewickelt hatten, konnte die Reise beginnen.
Sie würden bis Salzburg etwa zwei Stunden benötigen, meinte der Wirt.
Außerhalb von Altach ging es durch große Auwälder nahe dem Fluss entlang. Wenn Sonnenstrahlen den Nebel für einige Momente durchdrangen, glitzerte die verschneite Landschaft wie im Märchen. Zuweilen fiel von den Bäumen etwas Schnee auf sie herunter.
„Siehst du“, sagte Wolf zu Linda, „unser Mönchskutten sind doch ideal für so eine Reise. Diese Kapuzen sorgen dafür, dass uns kein Schnee ins Genick fällt.“
Linda schaute entzückt auf die verzauberte Winterlandschaft und die weißen Fontänen, die unter den Hufen der Pferde emporwirbelten.
Da die Kutsche keine echte Federung hatte, wurden Wolf und Linda ordentlich durchgerüttelt. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Leute in dieser Zeit eine längere Reise überstehen konnten. Ich spüre bereits sämtliche Knochen im Leib“, meinte Linda.
Obwohl manchmal die Sonne hervorkam, zogen sich die beiden wegen der Kälte die Decke bis zum Hals hinauf.
Endlich erreichten sie die Stadt Salzburg. Hier herrschte festliche Stimmung auf den Straßen. Gut gekleidete Leute waren unterwegs zur Domkirche, deren Glocken weithin hörbar die Gläubigen zur Messe riefen. Hoch über den Dächern der alten Stadt konnte man die Festung Hohensalzburg sehen.
Auf einem der großen Plätze der Bischofsstadt hielt der Wirt sein Gespann an. „So, da wären wir!“ Linda warf Wolf einen erstaunten Blick zu und meinte: „Und wie kommen wir jetzt zu unserem Eingang am Untersberg, das sind doch mindestens noch zehn Kilometer!“
Wolf nahm aus
Weitere Kostenlose Bücher