Steine der Macht: Das Isais-Ritual am Untersberg (German Edition)
nicht das geeignete Getränk für sie war. Es sah nicht gerade appetitlich aus, und es schmeckte auch nicht gut. So entschied er sich wieder für einen Krug Wein, welchen der Wirt, nachdem ihm Wolf seine Silbertaler gezeigt hatte, auch gerne brachte. Zu essen bekamen sie nur Fisch, da Fleisch am Heiligabend nicht serviert wurde. Die Schiffleute würden allesamt zur Christmette kommen, meinte der Wirt, als Dank an den Herrn, der sie vor Unheil auf dem Fluss bewahrt hatte. Die Wirtsfrau kam plötzlich von draußen zur Tür herein und sagte ganz aufgeregt: „Heute ist eine besondere Nacht.“
„Ja“, erwiderte Wolf, „die Weihnacht, der Tag, an dem unser Herr geboren wurde.“
„Nein, so meine ich das nicht! Die Frau des Bäckers, die Metzgersgattin und ich haben gerade in ihrer Stube am Fenster gesessen, da war auf einmal ein grünes Licht über der Salzach, so als wenn der Stern von Bethlehem erstrahlen würde. Und plötzlich leuchtete das Ziffernblatt am Turm der Stiftskirche hell wie am Tage. Das war ein Zeichen des Himmels. Wir haben es alle drei gesehen.“
Der Wirt winkte ab. „Ach was, Weibergeschwätz! Ihr werdet zu viel Rum in euren Tee geschüttet haben. Da sieht man dann schon manchmal Dinge, die nicht von dieser Welt sind.“
„Wie recht er hat“, antwortete Wolf, „die Wege des Herrn sind sonderbar, und wenn die Turmuhr zu leuchten anfing, dann sollte uns das als Hinweis dienen, dass es noch nicht zu spät ist.“
Und Linda flüsterte er leise zu: „Noch nicht zu spät zum Abendessen, wenn wir noch in die Mette wollen.“
Sie ließen sich den Fisch schmecken, und auch der würzige Wein war köstlich. Wolf erkundigte sich noch beim Wirt, wie sie am nächsten Tag wieder zurück nach Salzburg kommen könnten. Als dieser hörte, dass die beiden Mönche mit einer Postkutsche nach Salzburg fahren wollten und sich das offenbar auch leisten konnten, meinte er: „Wenn die Padres wollen, so fahre ich Sie mit meinem Wagen, er ist zwar nicht ganz so komfortabel wie eine richtige Kutsche, aber bis Salzburg ist es schon auszuhalten.
Wolf vereinbarte einen Fuhrlohn, über den der Wirt sehr erfreut war.
Am nächsten Morgen würde er sie um acht Uhr beim Pfarrhof abholen.
Die Turmuhr schlug zehn, es war an der Zeit zur Kirche zu gehen, denn bald würde die Mitternachtsmesse beginnen. Es schneite immer noch ein wenig, während sie durch den Schnee zur Nikolakirche stapften. Schon von Weiten sahen sie durch die vier großen Fenster, dass das Gotteshaus bereits hell erleuchtet war. Beim Eintreten konnten sie erkennen, dass auch schon einige Schiffsleute in den Gebetsbänken saßen.
Sie trafen Gruber und den Hilfspfarrer, der ihnen Plätze nahe dem Chor zuwies, damit sie auch beim Singen mit dabei sein würden. Inzwischen füllte sich das Kirchenschiff zusehends. Die Ministranten läuteten, und der alte griesgrämige Pfarrer begann mit dem Hochamt. Ganz zum Schluss, am Ende der Messe, so sagte der Hilfspfarrer, würde dann das Lied gesungen werden.
Da die meisten Gläubigen bereits wussten, dass die Orgel defekt war, sahen alle gespannt nach hinten zum Kirchenchor, wo sich auch der Lehrer Gruber, der Hilfspfarrer Mohr und die beiden vermeintlichen Mönche befanden. Es herrschte absolute Stille, sodass man ein Blatt fallen gehört hätte. Der Hilfspfarrer gab den Einsatz und dann erklang zum ersten Mal in einer Kirche dieses Weihnachtslied.
Am Ende sagte Wolf leise zu Linda: „Weißt du jetzt, weshalb wir alle sechs Strophen des Liedes lernen mussten?“ Linda nickte stumm.
Einige der Schiffleute kamen zum Hilfspfarrer und sprachen ihren Dank aus.
Auch Wolf und Linda gingen noch zu den beiden und drückten ihre Anerkennung aus. Plötzlich zog Linda ein briefmarkengroßes Teil mit einem Ohrhörer aus der Tasche ihrer Kutte heraus und hielt diesen dem Lehrer Gruber an sein Ohr. Der Lehrer wusste nicht, wie ihm geschah. Da hörte er sein Lied aus diesem winzigen Knopf. Es waren viele Instrumente, die da spielten und ein Chor, als ob die Engelschar aus dem Himmel herabgekommen wäre. Er hörte nur drei Strophen, und wäre das alles nicht inmitten der Kirche in Anwesenheit von zwei Mönchen geschehen, so hätte er an Teufelswerk geglaubt. „Was ist das? Wer seid ihr?“, stammelte er verwirrt. Anstatt einer Antwort sagte Wolf zu ihm:
„Im nächsten Jahr werden Sie das Lied auf einer Orgel spielen. Sie werden noch zehn Kinder bekommen und in fünfzehn Jahren in die Salinenstadt Hallein übersiedeln, wo
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