Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
Vom Netzwerk:
ihnen intim geworden zu
sein. - Wirkliche Damen sind unverwüstlich, gleich wie schlimm die Zeiten sind,
gleich wie sehr jedes Benehmen und jeder Anstand sich auflöst und der Mangel an
Geschmack die Armen wie die Reichen bestimmt (nur, daß sich zweitere freilich
mehr Geschmacklosigkeiten leisten können als erstere). Stimmt, die wirklichen
Damen retten nicht die Welt. Aber weniger, weil sie dazu nicht in der Lage
wären, sondern weil auch die Weltretterei leider Gottes so oft ins Peinliche
abgleitet. Sie retten ein paar Männer, manchmal, das muß ihnen genügen.
    Eine derartige Person war ganz sicher auch jene, die nun
Mach die Türe zu dem Haus in der Danneckerstraße öffnete. Natürlich konnte Mach
nicht sagen, wie viele Männer von dieser Frau gerettet worden waren, womöglich
kein einziger, aber die Würde ihrer Erscheinung, die Eleganz, mit der sie ihr
Alter und die Wunden ihres Leben trug, vor allem das Raumgreifende ihrer
Bewegungen war unübersehbar. Wobei dieser Griff nach dem Raum eben nicht
brutal war wie bei vielen machtvollen Männern, die dem Raum gern ein Leid
antun, sondern sie gab dem Raum eine kunstvolle Stütze und verzierte ihn gleichzeitig.
Und bei all dem verzichtete sie auf eines nicht: auf den Humor.
    Sie war die ehemalige Leiterin irgendeiner Kunststiftung
und hatte das Haus, in dem sie alleine zu leben schien, mit Bildern und
Objekten gefüllt. Aber ihre Sammlung war frei von jener Aufschneiderei, die
noch dem schönsten Kunstwerk den Charakter eines diamantenverzierten
Schlagstocks verleiht. Auch hingen hier ja kaum versicherungstechnisch
relevante Meister der Moderne, sondern die Arbeiten von Freunden und all den
jungen Künstlern, denen sie im Zuge ihrer Tätigkeit begegnet war. Die einzelnen
Räume besaßen einen stark biographischen Charakter, es war weniger eine
Kunstsammlung denn eine Lebenssammlung. Allerdings spürte Mach auch eine
Traurigkeit in diesen Räumen, doch die steckt ja wohl in allen Zimmern der Menschen.
Kein Zimmer ohne Schmerzen, ohne Tränen, ohne unerfüllte Träume. Was diesen
Räumen hier aber fehlte, war die obligate Wut, die sich sonst wie Teer über
jede Traurigkeit zieht, jede Ritze füllt und alles verklebt.
    Am famosesten jedoch war zweifellos die steinerne
Terrasse, die auf der straßenabgewandten Seite einen massiven Block bildete und
gleichermaßen als ein Teil des Gebäudes wie des steil abfallenden Hanges gelten
konnte. Man hatte an dieser Stelle einen grandiosen Blick auf den Talkessel,
das Häusermeer der Innenstadt sowie die Hänge im Norden. Daß die Sonne schien,
war keine Notwendigkeit, um diese Stadt zu mögen, deren Übersichtlichkeit auch
an grauen Tagen attraktiv wirkte: weniger aneinandergeklebt denn aus einem
Stück gehauen, obgleich das historisch gesehen nicht der Fall war.
    "Herrlich!" jubelte Mach.
    "Nicht wahr", meinte die Dame des Hauses und bot
ihrem Gast einen Martini an, den sie auch sogleich servierte. Sie nahm sich
ebenfalls einen. Dabei hielt sie das Glas in der Hand, als würde sie sich
üblicherweise mit Kardinälen betrinken, um auch gleich eine Absolution zu
erhalten. Nach einem ersten Schluck teilte sie bedauernd mit, für einige Tage
verreisen zu müssen. Dabei stellte sie ihr Glas ab und sagte: "Ich bin
aber sicher, Sie kommen mit dem Haus zurecht. Und das Haus mit Ihnen." Sie
öffnete ihre Arme zu einer Palme und bekundete solcherart ihr absolutes
Vertrauen zu Mach. Dann zeigte sie ihm sein Zimmer, einen Gästeraum, und
betonte erneut, ihm würde das ganze Haus zur Verfügung stehen. Sie erklärte
noch ein paar technische Details, offenbarte ein paar Geheimnisse die Küche
betreffend (Küchen sind eigentlich die Feinde des Menschen, nicht nur wegen der
Unfallträchtigkeit, die dort vorherrscht, und der vielen Mordinstrumente,
allerdings lassen sich die Küchen mitunter was Nettes einfallen ... aber davon
später), überreichte Mach einen Schlüsselbund, schrieb ihm ihre Handynummer
auf, rief ein Taxi und war so rasch verschwunden, daß Mach für einen kurzen
Moment erschrak, als müsse er fürchten, mit diesem zauberhaften Haus sei etwas
nicht in Ordnung.
    Er sah auf die Uhr. Draußen vor der Tür wartete Kingsley.
Er öffnete seinen Koffer, wechselte Hemd und Jackett und putzte sich mitten am
Tag die Zähne, was eigentlich nicht seine Art war. Auch nicht nach einem frühen
Martini. Er fragte sich, wieso er das tat. Wegen Kingsley? Meinte er denn, die
aus vielen Stahlplättchen zusammengesetzte Frau durch einen

Weitere Kostenlose Bücher