Steinfest, Heinrich
vermuten, hinter dem sich ein ganz anderes Geheimnis verbarg als
das langer, glatter Beine und eines famos akzentuierten Augenpaars. Doch auch
er konnte nicht sagen, wo dieser Slip sich befand und was dahinter zu erwarten
war. Es war bloß ein Gefühl gewesen.
Gefühle in der Wissenschaft sind ähnlich riskant wie Liebe
im Spinnenreich, weshalb Mach selbige Gefühle vor den Kollegen verbarg. So
waren es dann Auseinandersetzungen mit seinem direkten Vorgesetzten von
Sunssun gewesen, die zu einem Rauswurf aus dem AMR-Projekt führten. Seither
arbeitete Mach an einem eigenen Erklärungsansatz für den Mechanismus, dessen
Kern darin bestand, daß er nicht nur die fünf in der Antike bekannten Planeten
berücksichtigte, sondern zudem Hinweise in der Inschrift verfolgte, die ein
weit umfangreicheres Planetenmodell suggerierten und welche den gewagten
Schluß zuließen, daß wer auch immer der Erbauer dieses Gerätes gewesen war,
über eine Technik verfügt hatte, die angeblich erst zu Beginn des siebzehnten
Jahrhunderts entwickelt und Fernrohr genannt worden war.
Da nun eine der drei weltweit bestehenden Rekonstruktionen
in Kassel untergebracht waren, empfand es Mach als eine im Grunde so simple wie
zauberische Verbindungslinie des Schicksals, als man ihn an das dortige
Astronomisch-Physikalische Kabinett berief. Auch der Begriff des Kabinetts
paßte, denn als gebürtiger Wiener war ihm dieses Wort so ungemein vertraut,
und zwar in seiner Bedeutung als "kleines, einfenstriges Zimmer", als
Ort allergrößter Privatheit, durchaus auch als finstrer Ort, allerdings eine
Finsternis beherbergend, die kosmischen Ursprungs zu sein schien. Wenn der
Wiener Mensch sich einen direkten Weg ins Weltall vorstellen konnte, wenn nicht
sogar zu Gott, dann über eine versteckte Türe in seinem Kabinett. - Mach sagte
gerne: "Eine Wohnung ohne Kabinett ist keine Wohnung, sondern ein
Gefängnis."
Man konnte übrigens sagen, daß Machs Verdacht, die
Maschine "verschweige mit Absicht" eine bestimmte, entscheidende
Fähigkeit, insofern gleichermaßen für ihn selbst galt, als nämlich Sunssun vermutet
hatte, ihr Angestellter würde einige Resultate seiner Forschung zurückhalten.
Und da war ja auch etwas drangewesen. Immerhin hatte Mach entgegen einer
vertraglichen Abmachung seine persönlichen Aufzeichnungen aus Athen und dem
Einflußbereich seines Arbeitgebers hinausgeschmuggelt. Vor allem die
Dekodierung einiger verwirrender Stellen der Inschrift.
Für Mach war es somit ideal, seine Arbeit in Kassel
fortführen zu können, in der wunderbaren Orangerie, in der am meisten unterschätzten
Stadt der Welt, wie er gerne sagte, umgeben von einer gediegenen Sammlung
wissenschaftlicher Instrumente. Zudem Tür an Tür mit einem Planetarium.
Nirgends war die Nähe von Kabinetten zu den Weiten des Weltalls deutlicher zu
begreifen als in einem Planetarium. Das Planetarium war ein Kabinett mit einem
großen Fenster, das natürlich angesichts des kosmischen Ausmaßes als ein
kleines Fenster bezeichnet werden mußte.
Ein wenig hing Machs Entschluß, die "Einladung"
aus Stuttgart anzunehmen und sich was auch immer anzusehen, damit zusammen,
daß er das dortige Carl-Zeiss-Planetarium besuchen wollte. Würde diese Reise
sich als Reinfall erweisen, dann sicher nicht der Besuch dieser pyramidal
aufsteigenden Anlage, die zwar wie viele andere solcher Zweckgebäude einen
ufoartigen Eindruck hinterließ, jedoch daran erinnerte, daß Aliens nicht per se
böse und insektenhaft und militärisch zu sein hatten, sondern mitunter sanft
auf einer Parklandschaft aufsetzten, um in der Folge Dinge zu treiben, die
niemanden störten. - Wenn Aliens keinem auffallen, dann vielleicht weniger, weil
sie sich so geschickt tarnen, sondern weil sie etwas praktizieren, womit wir
einfach nicht rechnen, da es uns selbst gänzlich abgeht: Bescheidenheit.
Machs Vermutung war, daß man ihn nach Stuttgart beorderte
wegen seiner Erfahrungen mit diversen computertomographischen Verfahren und
weniger wegen der Schlüsse, die er etwa aus der Analyse der in Altgriechisch
gehaltenen Gebrauchsanweisung gezogen hatte.
Nun, er würde sich noch so richtig wundern.
Die andere Maschine
Zunächst einmal staunte Wolf Mach über die junge Dame, die
ihn vom Flughafen abholte. Sie hatte bei aller Hübschheit etwas Strenges und
Unnahbares an sich: der schwarze Hosenanzug, die aufgesteckten Haare, die
Sonnenbrille, die auf eine schlanke und schlangenhafte Weise athletische Erscheinung,
dies
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