Steinfest, Heinrich
alles ließ vermuten, daß ihre Funktion die einer Leibwächterin war. Dazu
paßte ihre Wortkargheit. Wenn sie sprach, dann knapp und hart, wie etwa ein
präzise geführter Hammer sprechen würde, der einem Nagel den Weg weist.
Mit dieser wegweisenden Stimme sagte sie: "Wir würden
es gerne sehen, wenn Sie das Hotel nähmen, das wir für Sie ausgesucht haben."
Aber Mach bestand darauf, in die Danneckerstraße gebracht
zu werden.
"Was ist dort?"
"Ich werde da wohnen, wenn Sie erlauben."
"Gut. Das muß ich weitergeben."
"An wen denn bitte? Wer ist das überhaupt, für den
Sie arbeiten?"
"Für die Stadt natürlich. Ich bin beauftragt, Sie zu
begleiten und für Ihre Sicherheit zu sorgen."
"Meine Güte", wunderte sich Mach, "ich
wüßte nicht, wozu das nötig ist. Meine Sicherheit ist ungefährdet."
"Ich habe einen Auftrag. Eine Interpretation steht
mir nicht zu."
"Sind Sie denn bewaffnet?" fragte Mach, während
er sich die Türe zu der im Stile von Mörderwalen glänzenden Mercedeslimousine
öffnen ließ.
"Selbstverständlich", antwortete sie.
"Das beruhigt mich jetzt aber sehr", meinte Mach
spöttisch. Er fragte sich gerade, ob er in den falschen Film geraten war. Oder
inwieweit das Ganze mit seinem Sunssun-Debakel zusammenhing.
Die Türe wurde geschlossen. Augenblicklich stellte sich
eine Stille ein, eine Mercedesstille, kühl, komfortabel, walbauchartig,
freilich ohne den Geruch verwesenden Fisches. Irgendwann würden selbst die
Särge in dieser Weise ausgestattet sein.
Nun stieg auch die Leibwächterin ein und startete den
Wagen.
"Wenn wir jetzt beschossen werden", meinte Mach,
"wird es schwierig sein, gleichzeitig zu steuern und zurückzuschießen."
Die Frau fuhr los, ohne zu reagieren.
"Aber Ihren Namen sagen Sie mir schon, oder?"
erkundigte sich Mach. Er saß im Fond und blickte auf das dunkelbraune Haar, in
dem ein rötlicher Ton einsaß. Schweres Rot, wie blutendes Erdöl. Er dachte
sich: Die Lady besteht sicher aus vielen kleinen Stahlplatten.
Die Stahlplattenfrau äußerte: "Nennen Sie mich
Kingsley."
"Kingsley wie der Schauspieler?"
"Nein, wie die Ethnologin."
"Ach ja", sagte Mach, der sich undeutlich daran
erinnerte, daß eine Afrikaforscherin des neunzehnten Jahrhunderts so geheißen
hatte.
"Wie ist das eigentlich", fragte Mach weiter,
Jemanden zu beschützen, den man nicht mag?"
"Fürs Mögen werde ich nicht bezahlt. Auch nicht
dafür, solche Fragen zu beantworten."
"Schon gut. Ich bin nur neugierig. Zum Beispiel würde
ich gerne wissen, wer oder was mich bedroht."
Kingsley erklärte, daß es mitunter Bedrohungen gebe, die
erst dann einen Namen erhielten, wenn es zu spät sei. Sicherheit sei ein
Privileg, das nun mal einigen Menschen zustehe. Offensichtlich gehöre er, Mach,
dazu. Wenigstens im Moment.
"Mein Stuttgarter Privileg", kommentierte Mach,
der ja solche Behandlung weder von Wien noch von Athen oder gar Kassel gewohnt
war.
Mach wollte nun wissen, wie der Plan aussehe.
"Zuerst bringe ich Sie in die Danneckerstraße",
sagte Kingsley. "Sie haben eine halbe Stunde, um sich frisch zu machen.
Danach fahre ich Sie zum Bahnhof. Dort treffen wir Herrn Palatin. Er gehört zum
Mitarbeiterstab des Oberbürgermeisters. Er wird Ihnen alles Weitere erklären."
"Schön", meinte Mach.
Schön! Das Wort drehte sich ein paarmal im Kreis und
verpuffte sodann wie viele dieser hingesagten Wörter, deren Sinn allein im Kreiseln
und Verpuffen besteht.
Das Haus in der Danneckerstraße, zu dem sich Mach
chauffieren ließ, befand sich in der ganz wunderbaren Halbhöhenlage. Ein
Gebäude, das, wie auch die benachbarten Liegenschaften, weniger in den Hang
gebaut als gesetzt wirkte, der Hang also eher einem Sitzmöbel gleich
funktionierte, auf dem die Häuser nach langer Suche endlich zur Ruhe gekommen
und in dieser Ruhe aufgeblüht waren.
Mach war mit einer Hamburger Verlegerin, einer älteren
wirklichen Dame bekannt und hatte von dieser zufällig einen Anruf erhalten,
kurz nachdem die Einladung nach Stuttgart erfolgt war. "Wohnen Sie doch
bei meiner Freundin", hatte die Verlegerin gemeint, "sie würde sich
sicher freuen. Das ist besser als im Hotel. Die Stuttgarter Hotels sind ein
wenig verstaubt, finde ich. Vielleicht vom vielen Autoverkehr, ich weiß es
nicht. Aber in der Danneckerstraße zeigt sich die Stadt von ihrer besten Seite.
Es wäre schade, darauf zu verzichten."
Mach war noch nie ein Freund staubiger Hotels gewesen. Schon
eher ein Freund wirklicher Damen, ohne je mit einer von
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