Steinfest, Heinrich
wieso ein
1994 vorgestelltes Projekt erst - geschweige denn überhaupt
noch - sechzehn Jahre später zur Realisation gebracht werden
sollte. Als man sich kurz darauf in jenen mittleren Teil des Schloßgartens
begab, der ebenfalls den Bauarbeiten zum Opfer fallen sollte und mit ihm auch
an die dreihundert Stück uralter Bäume, erwähnte Palatin immerhin, daß es
Proteste seitens einiger Bürger gebe. Soviel wußte Mach bereits, daß er sagen
konnte: "Was ich so gehört habe, ist die halbe Stadt dagegen."
Nun, es war mehr als die halbe Stadt, aber Palatin
lächelte wie über ein kleines Mißgeschick, eine technische Panne, die in den
Herzen und Hirnen einiger Leute zu falschen Signalen geführt hatte. Er sagte: "Ihr
Eindruck täuscht. Dieser sogenannte Protest erschöpft sich in einer Gruppe
greiser Herrschaften, Menschen, die sich schwertun, loszulassen. Sie stehen am
Ende ihrer Tage und verwechseln nun den antiken Bahnhof mit dem eigenen Leben.
Sie verteidigen nicht das Gebäude, nicht den Park und die Bäume, sondern allein
sich selbst. Das ist ein psychologisches Dilemma, das wir lösen werden."
"Darum haben Sie mich aber nicht
holen lassen."
"Wir haben noch ein anderes Problem, eines, das weit
mehr wiegt als ein paar randalierende Rentner und Pensionäre. Darum sind Sie
hier, wegen der anderen Sache", erklärte Palatin und zeigte auf die
ausgedehnte Wiesenfläche, an deren Rändern jene hohen, alten Bäume aufragten,
die der Zukunft dieser Stadt im Weg standen. - Das tun Bäume seit jeher, sie
stehen dem Menschen, seinem wirtschaftlichen Trieb im Wege, und es ist
wirklich ein Unglück, daß diese Gewächse über gewisse Fähigkeiten verfügen,
die wiederum andere Menschen dazu bringen, sie heiligzusprechen. In der Tat muß
man sich fragen, wieso Gott ausgerechnet einen Sauerstofflieferanten in die
Welt gesetzt hat, nur, um ihn dann ständig der Bauwirtschaft im Weg stehen zu
lassen.
Gut, es gab auch Leute, die gerade das mochten. Der ganze
Park war voll von Menschen, die im Gras saßen oder lagen, einige in Badekleidung,
die jungen Männer mit nackten Oberkörpern, Scheiben durch die Luft werfend,
ballspielende Kinder, Spaziergänger, Parkbankbenutzer, das Stimmengewirr eines
wabenartig kompakten Biergartens, und überall ein Eindruck von Barfüßigkeit,
auch bei denen, die ihre Schuhe anbehielten. Ein Rest von Kühle steckte im
Boden, die Kühle eines Winters, der ebenfalls nicht hatte sterben wollen und
sich hartnäckig, von einem lungenkranken Frühling und ein paar warmen Tagen
kaum behindert, bis in den beginnenden Juni gehalten hatte. Um so stärker war
nun die Wirkung einer kräftigen, man mochte fast sagen, einer ausgeruhten
Sonne. Die Hitze erwies sich als schwebende Ameisenburg. Es wuselte und stach.
Der Sommer demonstrierte seinen Fleiß.
Hinter einer Gruppe von Bäumen erkannte Mach jetzt den
oberen Teil jener mit Glasplatten locker eingehüllten und von einer metallenen
Trägerkonstruktion gehaltenen Pyramide, welche das Carl-Zeiss-Planetarium
beherbergte. Und er war nicht schlecht erstaunt, als seine beiden Begleiter ihn
genau in jenes Gebäude führten und somit sein ursprünglicher Gedanke, nämlich
im schlimmsten Fall wenigstens dieses Planetarium besuchen zu dürfen, sich
sogleich erfüllte. Allerdings wurde er entgegen seiner Erwartung weder dem
Direktor des Hauses vorgestellt noch in den Kuppelsaal mit seinem aus den
Zeiss-Werken stammenden großen Projektor gebeten, sondern man bewegte sich am
Eingangsbereich vorbei in einen recht bieder gestalteten, etwas vernachlässigt
anmutenden Warteraum und gelangte zu einer unauffälligen, aber verschlossenen
Türe. Palatin zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß auf. So kam man in
eine kleine Halle, die hinüber zum angegliederten Vortragssaal führte, welcher
... nun, dieser Saal bildete zusammen mit einer Münchner Putzfrau und einem
kurzbeinigen, langohrigen Hund eine romantechnische Trinitas, dadurch nämlich,
daß auch er, der Saal, den Namen Kepler trug: Keplersaal also.
Der hohe, dunkle Raum lag im sparsamen Licht weniger
Spots, die den Sitzreihen einen samtigen Ausdruck verliehen. Als schlafe hier
ein riesiges, totes Stofftier. Gleich beim Eingang befand sich der kurze, um
die Ecke führende Abschnitt einer Betonverkleidung, vor den sich Palatin
stellte und auf Brusthöhe in sein Jackett faßte. Im gleichen Moment bildete
sich eine Ritze in eben dieser Betonwand, und eine Aufzugtüre glitt zur Seite.
Offenkundig hatte Palatin
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