Steinfest, Heinrich
rief den Kellner herbei, der
jetzt stumm die Bestellung entgegennahm.
"Ihr Hund?" fragte Landau und sah zu Kepler,
ohne eine Anstalt zu machen, ihn anfassen zu wollen.
"Na, was denken Sie?" fragte Rosenblüt zurück.
"Er sieht nicht aus, als würde er zu Ihnen gehören."
"Sondern?"
"Das ist ein philosophischer Hund", stellte
Landau fest.
"Sie unterschätzen mich", erklärte Rosenblüt, "wenn
Sie mir die Philosophie abzusprechen versuchen."
"Vielleicht meinte ich nicht philosophisch, sondern
sentimental", korrigierte sich Landau, die eigentlich mit Vornamen
Diethild hieß, was kaum an Fürchterlichkeit zu überbieten ist, während die Koseform
Teska ganz gut zu ihrer zarten, durchscheinenden, verlorenen Erscheinung paßte.
Fragte sich bloß, wie diese Person, dieses Personellen, im Kampf mit der
Unterwelt verfuhr.
"Ein sentimentaler Hund also", überlegte
Rosenblüt und sagte dann: "Na, da könnten Sie schon recht haben. Er ist
eigentlich ein toter Hund, der aus welchen Gründen auch immer zurückgekommen
ist."
"Sie meinen, er war schon einmal fast tot?"
Ja, wie meinte er es eigentlich? Statt einer konkreten
Erklärung lieferte er eine vulgär-metaphysische. Er sagte: "Kepler ist
wahrscheinlich ein österreichischer Hund, wenn Sie verstehen, was ich meine."
"Warum dann dieser Name?" fragte Teska Landau. "Kepler
war Schwabe, nicht Österreicher."
Nun, da hatte Landau zweifellos recht. Denn obwohl
Johannes Kepler erst in Graz und später in Linz gewesen war, um dort
Mathematik zu unterrichten, machte ihn das noch lange nicht zum Österreicher.
(Auch Thomas Bernhard hat im Rahmen seiner vehementen Oberösterreicherverachtung
angemerkt, der Astronom Kepler wäre ein toller Bursche gewesen, aber der sei
ja auch aus Württemberg gekommen.) Andererseits konnte Rosenblüt schlecht
zugeben, diesem Hund erstmals in München begegnet zu sein. War denn Johannes
Kepler überhaupt je in München? War überhaupt jemand von Bedeutung je in
München oder gar aus München? - Was Rosenblüt vor allem aber verschweigen wollte,
war der eigentliche Hintergrund dieser Namensnennung. Kein Wort über eine
Putzfrau. Wie üblich.
Er trank seinen Kaffee aus und sagte, es sei Zeit, hinüber
nach Cannstatt zu fahren. Er wolle sich den Mann ansehen, bei dem der Münchner
und der Stuttgarter Faden zusammenführten: Sami Aydin.
Die Kriminalhauptmeisterin hatte die Adresse von Aydin,
wenn auch noch keine Information, wieso genau dieser für den Ex-Stuttgarter
und Jetztzeit-Münchner Rosenblüt von Relevanz war. Aydin stand im Verdacht,
verschiedene Formen des Schwarzhandels zu treiben, war jedoch ohne Vorstrafe.
Kein unbeschriebenes Blatt, aber gewissermaßen ein mit Zaubertinte verfaßtes.
Teska Landau betonte, daß ihre Vorgesetzten es gerne
gesehen hätten, wenn Rosenblüt im Vorfeld seines Auftretens einen Bericht verfaßt
und nach Stuttgart geschickt hätte. Einerseits, um die Sache etwas
vorzubereiten, andererseits, um sich auszukennen.
Worauf Rosenblüt erwiderte: "Exakt das war mir
wichtig, daß hier niemand etwas vorbereitet. So in der Art von Warnschüsse
abgeben und in Tatorten herumtrampeln und mögliche Zeugen verschrecken. Sie
verstehen mich schon, oder?"
Nicht, daß sie eine Antwort gab, doch ihre Miene verriet,
daß sie ihn ganz gut verstand. - War das ein Trick? Wollte sie sich bei ihm
einschmeicheln? Rosenblüt dachte: Eigentlich ist sie ein häßliches Küken, aber
vor ihren Augen und ihrem Blick muß man sich in acht nehmen. Gut, das denkt
sich so einfach.
"Mein Wagen steht gleich vor dem Hotel",
erklärte Landau. Man ging nach draußen.
"Das ist ein Witz, oder?" zeigte sich Rosenblüt
verblüfft.
"Warum soll das ein Witz sein? Das ist ein gutes
Auto. Natürlich werden wir damit keine Verfolgungsjagden hinkriegen. Aber dafür
haben wir sowieso die Kollegen. Abgesehen davon, daß diese Stadt ein lebendiger
Stau ist. Ein Ferrari würde hier kaum etwas bringen. Außer, um blöd
aufzufallen."
"Also ich finde", meinte Rosenblüt, "daß
man mit einem alten VW-Bus heutzutage mindestens so auffällt."
"Schon. Aber nicht blöd."
In der Tat handelte es sich um einen in dunklem
Polizeigrün gehaltenen VW-T2-Kastenwagen, der sich in einem gepflegten Zustand
befand, frisch lackiert, das weiß gestrichene VW-Emblem wie eine flache Nase
zwischen kreisrunden Augen. Zwei Taxifahrer standen bewundernd vor dem
kompakten Vehikel.
Landau sagte zu Rosenblüt, er könne einsteigen, die Türen
seien unversperrt.
"Ist das
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