Steinfest, Heinrich
erklärt: Dornen sind spitz, weil sie stumpf nichts nützen würden.
Er ließ Kepler also ungebunden, und zusammen stiegen sie
in den Aufzug. Eigentlich haßte Rosenblüt diese Hundebesitzer, die sich über
jedes Recht erhoben und Stadt und Land mit ihren Kötern terrorisierten. Aber
wie gesagt, Kepler eignete sich nicht für eine Leine und war mit einigem guten
Willen als Teil einer polizeilichen Ermittlung anzusehen. - Hier wäre freilich
einzuwenden gewesen, daß auch oder gerade Polizeihunde an die kurze Leine
gehörten ... nun, das galt für diese blöden Schäferhunde.
Über das Zimmer 344 mußte Rosenblüt schmunzeln. Kein
Zimmer, sondern eine sogenannte Parksuite. Altenglischer Stil auf zweiundvierzig
Quadratmetern, als liege hinter den Fenstern nicht der Schloßgarten, sondern
Loch Ness. Wie das ganze Hotel war auch die Suite in einem warmen Rotton
gehalten. Wer kein Allergiker war, den überfiel hier die Schlafkrankheit.
Immerhin waren die Fenster zu öffnen, was Rosenblüt sofort tat und die
Sommerluft hereinließ, eine Luft, die allerdings nicht in der Lage war,
Koffein zu ersetzen.
Darum begab sich Rosenblüt, nachdem er seinen Händen und
seinem Gesicht etwas kaltes Wasser gegönnt hatte, mit seinem Polizeihund
wieder nach unten, unterließ es jedoch, das überfüllte Café aufzusuchen und
blieb statt dessen in der Lounge, die nach der Ballettlegende John Cranko
benannt war. Eine Lounge, die es in sich hatte. Zwar standen auch hier die
üblichen aus einem Kaminfeuer herausgezogenen Polstermöbel herum, aber der
weite Raum war gegen die hohen Fenster hin mit einer Innenbepflanzung
ausgestattet, welche gar nicht sosehr die jenseits der Scheiben gelegene
Parkanlage zitierte als vielmehr eine Dschungellandschaft, wie sie zu Urzeiten
an dieser Stelle gewuchert haben mochte. Eine echte Phalanx aus Zweigen und Blättern,
fehlten bloß noch die Tiere und der Dampf der Tropen. Gewiß war es sehr viel
netter ohne Schlangen und feuchte Hitze.
Rosenblüt nahm Platz und winkte einem Kellner. Dieser
erschien, nickte leicht und begrüßte den Gast mit einem "Mir geht es ausgezeichnet,
danke, bitte!"
Das hatte Rosenblüt schon befürchtet, daß nämlich das
Argument geringen Schlafes nicht ziehen würde. Nein, es war kein Traum am
Wirken, keine Einbildung, sondern einzig und allein eine komische Realität.
Rosenblüt antwortete: "Ja, mir geht es auch gut, danke, bitte. Und
außerdem hätte ich gerne einen Cappuccino."
Wenig später kam der Cappuccino. Und quasi im Schlepptau
dieses Kaffees erschien zudem eine Frau, die Rosenblüt begrüßte, ohne jedoch
zu erklären, daß es ihr ausgezeichnet gehe. Sie war ja auch keine Angestellte
des Hotels, sondern jene Kriminalbeamtin, deren Auftrag offiziell darin
bestand, Rosenblüt bei seiner Ermittlung behilflich zu sein.
Der Kommissar zeigte sich von seiner unfreundlichsten
Seite, beklagte, doch gerade erst angekommen zu sein und derartige Überfälle
nicht zu schätzen.
Die Frau - jünger als Rosenblüt, vielleicht dreißigjährig,
zierlich, der verhungerte Typ, der Salattyp, der Vom-Fleisch-wird-mir-übel-Typ,
der Typ, der lieber selbst vom Fleisch fällt, allerdings schöne Augen, weich,
Kinderblick, aber kluger Kinderblick, Augen wie aus einer Träne geboren, als
sei zuerst die Träne dagewesen, die Trauer, der Schmerz und dann erst das Auge,
das die Dinge sieht, welche diese Trauer, diesen Schmerz verursachen - diese
Frau also, die sich als Kriminalhauptmeisterin Teska Landau vorstellte,
erklärte nun, keinesfalls einen Überfall vorgehabt zu haben. Sie zeigte auf
die beiden Kuverts, die noch ungeöffnet vor Rosenblüt auf dem Tisch lagen und
sagte mit einer Stimme, die auch nicht ganz frei war von der salzigen Süße
vergossener Tränen: "In einem davon ist eine Nachricht von mir. Darin
steht, daß ich Sie um vier Uhr in der Hotellounge abhole. Es ist vier, und hier
ist die Lounge. Einen Überfall würde ich das nicht nennen."
"Ich bin noch keine dreiviertel Stunde im Land",
erwiderte Rosenblüt. Dann fragte er, als sei das Öffnen von Kuverts auch in
den folgenden Stunden unmöglich, was sich in dem anderen Umschlag befinde.
"Karten für die Oper, für morgen", erklärte
Landau. "Falls Sie Lust haben."
Rosenblüt dachte: Mein Gott, immer diese Opernkarten. Eine
Plage, die vielen Karten, die im Umlauf sind, die verteilt werden müssen wie
Waisenkinder.
Darauf erkundigte er sich, ob er für sie, Landau, einen
Kaffee bestellen dürfe. Sie nickte. Rosenblüt
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