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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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so lief es doch immer: Die Münchner spuckten den Stuttgartern
in die Suppe. Anstatt aber die Suppe vernünftigerweise einfach wegzuschütten,
versuchten sie in Stuttgart, es den Münchnern gleichzutun, versuchten sich
ebenfalls im Suppenspucken, nur, daß sie leider nicht begriffen, wie wenig der
Sinn des Suppenspuckens darin besteht, in die eigene Suppe zu spucken. - In
dieser Hinsicht war Stuttgart gleich seinem Stadtoberhaupt autistisch.
    In früheren Zeiten hatte Rosenblüt offizielle wie private
Gäste gerne nahe des Südwestrundfunks untergebracht, und zwar im Parkhotel,
einem geradezu wittgensteinhaft sachlichen Bau im Schatten des SWR-Komplexes
(das schönste an diesem Komplex ist seit jeher der Schatten, den es wirft).
Dieses Hotel, das vor allem dadurch geadelt war, daß hier einst Samuel Beckett
ein Quartier gefunden hatte, war aber im Zuge eines Neubaus der SWRler
niedergerissen worden, so, wie das nun mal ganz wesentlich zur Stuttgarter
Kultur dazugehörte: die Zerstörung vor allem der magischen Orte, als wollte man
die Magie aus dieser Stadt verbannen, als hätte man Angst vor all den Geistern,
die in diesen Gebäuden vielleicht wohnten, vielleicht auch nicht. - Das
angstvolle Niederreißen und Neubauen in Stuttgart hatte etwas von jenen
zwanghaften Individuen, die sich nach jeder Berührung die Hände waschen oder
nach jeder Intimität die Bettlaken in die Waschmaschine stopfen.
    Ins Parkhotel konnte Rosenblüt also nicht mehr. Darum
hatte er sich gleichgültig gegenüber der Frage gezeigt, wo er denn
untergebracht werden wolle. Nun, das stimmte nicht ganz, da er gleichzeitig
recht präzise geäußert hatte, in welchen Hotels er keineswegs absteigen würde,
und das waren eine ganze Menge, angefangen vom Maritim bis zum Graf Zeppelin.
Freilich, eine Herberge im Zentrum musste es sein. Und so war im Zuge eines
Ausschlußverfahrens nur das Hotel am Schloßgarten übriggeblieben, ein vom
Bahnhof wenige Minuten entfernter, zwischen der Parkanlage des Oberen
Schloßgartens und der Königstraße gelegener weißer, hoher Bau. Man konnte fast
meinen, Rosenblüt habe vergessen, sich auch diesem Hotel gegenüber ablehnend zu
äußern, welches er ja kannte, somit um den ganzen Kitsch wußte, der dort herumstand,
die vielen Stoffe und Teppichböden und Staubfänger, der pure Sadismus gegen
Allergiker. Dazu kam die obligate Atmosphäre der Bedeutsamkeit, die daraus
resultierte, sich als Gast ein Zimmer leisten zu können, das man gar nicht
selbst bezahlte. - Das erste, was geschieht, wenn die Apokalypse eintritt, wird
sein, daß alle Leute ihre Hotelzimmer und Restaurantrechnungen aus der eigenen
Tasche begleichen müssen. Diese Strafe werden alle verstehen.
    Aber noch war es nicht soweit. Rosenblüt trat an die
Rezeption, die wie ein vergoldetes und dank dieser Vergoldung erstarrtes Kaminfeuer
die Gäste empfing. Hinter der Theke standen zwei junge Frauen, eine davon
drehte sich zu Rosenblüt hin, setzte ein Lächeln in die Luft und sagte: "Mir
geht es ausgezeichnet, danke, bitte!"
    Rosenblüt war verwirrt. Gütiger Teufel, was war das für
eine merkwürdige Art der Begrüßung? Die ihm bei aller Merkwürdigkeit sogar
noch vertraut schien? Entfernt vertraut. Vielleicht aber hatte er sich verhört,
denn was nun in der Folge geschah, war als normal zu bezeichnen. Er nannte
seinen Namen, wurde sodann mit eben diesem angesprochen und als Gast des Hotels
herzlich willkommen geheißen. Die Rezeptionistin ließ ihn ein Meldeformular
unterschreiben, überreichte ihm zwei Kuverts und fügte eine Magnetkarte in
eine Hülle aus weißem, glänzendem Karton, auf dem sie die Zahl 344 notiert
hatte. Sie zeigte die Richtung der nur schwer übersehbaren Lifte an, erwähnte
die Frühstückszeiten, verwies auf die Gastronomie im Haus und wünschte
Rosenblüt einen angenehmen Aufenthalt.
    Ich bin übernächtigt, dachte Rosenblüt und dachte also,
sich die ungewöhnliche Begrüßungsformel bloß eingebildet zu haben. Er nahm
seinen Koffer und ging auf den Aufzug zu. Dabei nickte er nach unten zu Kepler,
jenem Hund, der die Reinkarnation eines Wiener Mischlingsrüden namens Lauscher
darstellte. Kepler war ohne Leine, obgleich das wahrscheinlich in einem Hotel
vorgeschrieben war, wie auch an anderen Orten, etwa in Fußgängerzonen und
Unterführungen. Und genau in diesem Moment hörte er den Ruf der Rezeptionistin,
die höflich darum bat, den Hund an die Leine zu nehmen.
    "Das ist ein Polizeihund", erklärte Rosenblüt,
wie man

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