Steinfest, Heinrich
diese Einschüchterung und
inwieweit die Stuttgarter Herkunft des Professors und seiner Gattin, einer
Anwältin, von Bedeutung war. Denn irgendwie mußte es das ja, weil Rosenblüt
sonst kaum an den Ort seiner Demütigung hätte zurückkehren müssen. Auf diese
Weise hatte er einige Personen aufgeschreckt, die eine späte Rache oder auch
nur Rosenblüts famosen Spürsinn fürchteten.
Was aber spielte Sami Aydin für eine Rolle?
"Herr Aydin", erklärte Rosenblüt, "hat
einen Cousin in München. Dieser Cousin nennt sich Lynch. Der Mann ist Cineast
und Musikmanager und betreibt nebenbei ein illegales Wettbüro. Ein absolut
elitärer Knabe, elitär und schräg, diese unglückliche Mischung aus Künstler
und Zuhälter. Faszinierend, würde ein Vulkanier dazu sagen; leider bin ich kein
Vulkanier. Unser Monsieur hat den Überfall auf Uhls Sohn organisiert."
"Von einem Lynch wissen wir nichts", stellte
Landau fest.
"Davon weiß nur ich. Lynch ist auf freiem Fuß.
Entsprechend meinem Konzept, die kleinen Fische im Wasser zu lassen, weil sie
mir dort, und nur dort, nützlich sind. Ein Lynch im Gefängnis ist ein sinnloser
Lynch. Nein, hätte ich den Herrn festsetzen lassen, hätte ich nie erfahren,
daß..."
Er unterbrach sich, schüttelte den Kopf wie über eine
Dummheit und sagte: "Hören Sie, Frau Landau, das ist jetzt ein
entscheidender Augenblick. Wenn ich mit Ihnen rede, Sie einweihe, anstatt Sie
rauszuschicken, damit Sie mir einen Wurstwecken besorgen, und das könnte ich
tun, glauben Sie mir, ich habe schon Kollegen so lange zum Wurstweckenholen
abkommandiert, bis sie nicht mehr zurückkamen ... also, liebe Kollegin, wollen
Sie als Spitzel für die hiesige Staatsanwaltschaft und für die Leute dienen,
die vor Ort die Weisungen geben, oder wollen Sie mir helfen, den Fall auch
wirklich zu klären?"
Landau drehte sich frontal zu Rosenblüt hin und
betrachtete ihn mit ihren Kinderaugen, als zähle sie etwas, etwas in der Art
von Jahresringen oder Narben oder wie viele Gabeln noch in der Bestecklade
sind, so was halt. Dann sagte sie: "Sie wissen aber schon, daß ich für
diese Stadt arbeite, Sie jedoch für eine andere?"
"Nun ja, entweder für die Städte oder für die
Wahrheit."
"Ist das Ihr Ernst?"
"Wieso nicht? Vielleicht können Sie sich auf diese
Weise einen Namen machen."
"Wie denn? Mit der Wahrheit?"
"Mhm."
"Ach ja? So wie Sie damals, als man Sie nachher aus
Stuttgart entfernt hat?"
"Vielleicht wird es bei Ihnen anders sein, besser,
glücklicher", orakelte Rosenblüt und lachte in der Art normalen Irrsinns.
Landau seufzte. Aber es war ein bejahendes Seufzen. Sie
sagte: "Gut, machen wir es so. Sagen wir, es ist ein Spiel, und wir
spielen zusammen. Ich helfe Ihnen, und Sie helfen mir. Arm in Arm ins Ziel
hinein! Meine Vorgesetzten erfahren nur, was sie vorerst auch erfahren müssen,
um nicht das Zittern zu kriegen. Mehr braucht nicht sein. Ich bin mit diesen
Leuten sowieso nicht verheiratet."
"Und mit wem, wenn ich fragen darf, sind Sie
verheiratet?"
"Mit meinem Auto, meinen beiden Katzen, meinen
Balkonpflanzen, meinem kleinen Häuschen und den paar Büchern, die ich immer
wieder von neuem lese."
"Welche wären das?" fragte Rosenblüt.
"Nein, so gut kennen wir uns noch nicht",
erklärte Landau mit einer plötzlichen Härte in der Stimme, einer Härte, die
praktisch das vierte Grundelement dieser Frau neben ihrem Busen, den
Kinderaugen und der steifen Schmalheit ihres Körpers bildete. In dieser Härte
nistete auch ihre Intelligenz, die nicht gering war.
Rosenblüt vertraute ihr. Er sah, daß Teska Landau keine
Lügnerin war. Nicht in diesem Moment. Sein Instinkt sagte ihm, daß er sich auf
eine solche Frau würde verlassen können. Also setzte er sie in Kenntnis, sprach
davon, daß jener Sami Aydin es gewesen sei, der den Auftrag nach München
vermittelt habe, an seinen Cousin Lynch. Was nahelege, daß die eigentlichen
Hintermänner in Stuttgart säßen und an Aydin herangetreten seien, um über
dessen Münchner Kontakt dem Herrn Professor eine mehr als deutliche Botschaft
zukommen zu lassen.
"Als ich bei Uhl war", sagte Rosenblüt, "hat
er mit keinem Wort erwähnt, aus welchem Grund man ihm drohen würde. Er liebt
seinen Sohn, darum hält er den Mund. Aber immerhin, er hat mir ein Stück Papier
zugesteckt, den herausgerissenen Streifen einer Broschüre."
"Und?"
"Etwas mit Stuttgart 21. Ohne handschriftlichen
Hinweis. Ohne Kommentar. Einfach nur der Schriftzug von dem Projekt."
"Haidenai!" seufzte
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