Steinfest, Heinrich
darauf, noch diesen Abend hinüber in
den Süden der Stadt zu fahren, um sich das Verbindungshaus der Burschenschaft
Adiunctus, der buchstäblich "eng Verbundenen", anzusehen: die Leute,
den Brunnen, die Löwen.
"Wenn Sie darauf bestehen, bitte", sagte Landau
mißmutig, bestand aber auf einigen Minuten, um sich frisch zu machen.
Rosenblüt konstatierte: "Sie sehen sehr viel frischer
aus als ich."
Eine Bemerkung, die Landau überhörte. Sie ging zurück ins
Haus, und Rosenblüt folgte ihr. Erneut nahm er am Computer Platz, um sich
bezüglich der Adiuncten und ihrer Geschichte kundig zu machen. Ein Verfahren,
das er eigentlich ablehnte: diese Vorbereitungen mittels Internet, auf daß man
in der Folge mit einem unverrückbaren Wikipediabild sich dem Realen näherte und
sich die wenigen Überraschungen daraus ergaben, das Glück oder Pech zu haben,
daß im Realen eine Veränderung eingetreten war - so jung, so frisch, so
unverdorben -, daß noch kein Streber dazu gekommen war, im Netz eine Aktualisierung
vorzunehmen.
Eine Überraschung sollte es indes jetzt schon geben.
Zunächst war da nichts Auffallendes, das Gewohnte und
Naheliegende eben: die Beschreibung des Burschenbandes, des Wappens, die
Geschichte zwischen Gründung und Gegenwart, das studentische Fechten, nicht
zuletzt die Betonung des Lebensbundprinzips, das sich am deutlichsten in jener
eheartigen Regel manifestiert, welche erklärt, die Mitgliedschaft eines
Bundesbruders ende erst mit seinem Tod. Dazu gab es Bilder des Adiunctenhauses
und des Grundstückes, der Studentenzimmer wie der Gemeinschaftsräume, einen
Blick auf die Stadt, in den Paukraum, auf den Garten, nicht zuletzt auf jene
quadratische Heckenformation, in dessen Innerem sich angeblich ein Brunnen
befand, den fünf Löwen zierten. Das war soweit recht exklusiv, aber nicht
weiter ungewöhnlich, auch nicht jener deftige Widerspruch, der sich aus der
Maxime von der "Selbständigkeit des Denkens" einerseits und der
burschenschaftlichen Praxis schmelzender wie verschmolzener Gehirne
andererseits ergab. Das war nun wirklich kein Privileg derartiger
Gemeinschaften, den freien Geist zu behaupten, aber jedem auf die Finger zu
klopfen, der ein kritisches Gedichtlein verfaßte.
Die Überraschung ergab sich für Rosenblüt in dem Moment,
da er - nicht auf der Website der Adiuncten, sondern eben bei der beliebten
freien Enzyklopädie - eine Liste prominenter Mitglieder der
Adiunctus-Burschenschaft entdeckte und einer dieser Namen mit der Prägnanz
dreier hochgestreckter Finger in den Rosenblütschen Blick drang: Uhl. Christoph
Uhl (*1956), Professor der Geologie in München.
Es gibt Spuren, dachte sich Rosenblüt, und es gibt
Superspuren. Das ist eine Superspur. Wobei ihm aber auch klar war, daß Superspuren
immer etwas Verdächtiges besitzen. Sie scheinen ausgelegt zu sein, damit arme
Polizisten auf Irrwege und in finstere Abgründe geraten. Dennoch und trotz
aller möglicher Gefahren - Rosenblüt konnte diese Spur nicht links
liegenlassen. Und als nun Teska Landau die Treppe herunterkam, rief er sie zu
sich und zeigte ihr, worauf er gestoßen war.
"Voll ins Schwarze, Bull's Eye! Und nicht einmal
geheim", kommentierte Landau.
"Was ist schon geheim?" philosophierte Rosenblüt.
"Die Dinge sind offene Bücher. Mitunter wäre man froh, ein Buch würde sich
dadurch auszeichnen, daß es geschlossen bleibt."
Womit er ganz sicher recht hatte. Dennoch, Landau lächelte
ob dieser Klage. Ihrer Heiterkeit nach zu urteilen, war sie bereits in der
Freizeit angekommen. Zudem trug sie einen dunkelblauen Rock und eine gelbliche
Bluse, deren Ausschnitt eine dezente Perlenkette in ein offenes Oben und ein
spitz zulaufendes Unten teilte. Das halblange, hellblonde Haar befand sich
unter der Kontrolle zweier Swarovski-Haarspangen.
Angesichts solcher Aufmachung fragte Rosenblüt: "Wollen
Sie in die Oper gehen? Für morgen hätte ich eine Karte."
Landau ignorierte die Frage und hob den Autoschlüssel in
die Höhe, als präsentiere sie den mumifizierten Zeigefinger des heiligen
Christophorus.
"Gut, fahren wir", sagte Rosenblüt, wie man
sagt, der moderne Fußball werde zwar immer schneller, habe aber etwa soviel
Seele wie ein sehr flach geklopftes Kalbsschnitzel, das auch der größte Magier
nicht wieder zum Leben erwecken könne.
Was für ein Abend! Der Himmel ein glänzendes Tuch in den
Augen des Stiers.
Gott tritt auf
Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!
William Shakespeare, Der Sturm
Das an
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