Steinfest, Heinrich
seiner Frontseite schmale, hohe, mit einem mittigen
Türmchen ausgestattete Adiunctenhaus, das tief in den Hang hineinführte, lag im
Schein der Abendsonne. Die helle Fassade besaß den fiebrigen Glanz einer
Errötung, wobei dieses Rot gar nicht wie das Spiegelbild einer turnusgemäß
sterbenden Sonne wirkte, sondern eher aus dem Mauerwerk selbst zu stammen
schien. Was an die erhitzten Backen tollender Kinder erinnerte, und das paßte
ja nun ganz gut zu einer Burschenschaft: das Herumtollen als Alternative zu
echter Bewegung, das kameradschaftliche Betrinken und Fechten als Alternative
zu kleinbürgerlicher Sportlichkeit und proletarischer Körperkultur.
Rosenblüt läutete an der Türglocke. Ein junger Mann
öffnete ihm. Rosenblüt stellte sich namentlich vor, erwähnte natürlich, von der
Münchner Polizei zu sein, und betonte darum, daß ihm Frau Landau als
Vertreterin der hiesigen Behörde zur Seite stehe. Einen Ausweis zeigte er
nicht.
"Ja, und was wollen Sie?"
"Nun, ich würde gerne ein paar Fragen bezüglich
dieses Hauses beantwortet haben."
"Was für Fragen?"
.Anders gesagt, ich möchte Sie bitten, uns hereinzulassen
und jemanden zu holen, der sich eignet, mit mir zu reden. Ich denke nicht, daß
Sie das sind, oder? Warum sollten wir uns also die Mühe machen?"
Der junge Mann biß sich auf die Lippe. Seine Augen
verengten sich zu einer Klammer, die aber nur sich selbst klammerte. Er hätte
Rosenblüt gerne zum Teufel geschickt. Allerdings fürchtete er, einen Fehler zu
machen, irgendeinen. Jedenfalls bat er Rosenblüt und Landau einzutreten und
führte sie in eine Halle, deren Färbung den Eindruck der Fassade bestätigte.
Wobei es sich indes nicht um das kämpferische Rot handelte, welches
Revolutionen versprach, sondern um das Rot, das in den Hölzern steckte, das
Blut der Bäume.
Der junge Mann ließ Rosenblüt und Landau allein.
Das blieben sie nicht lange. Ein Mann betrat den Raum,
wohl kaum der Hausmeister. Viel zu souverän war sein Schritt, so, als sei
dieser Parkettboden einzig zum Vergnügen seiner Füße geschaffen worden, Und
wenn auch mal andere Füße hier zu stehen kamen, dann bloß, weil er es zuließ.
Er war ein kleiner Mann, in der Art dieser kleinen Männer mit großen Frauen,
obgleich keine Frau zu sehen war. In seinem Gesicht steckte etwas Bäurisches,
der Wille, die Natur zu beherrschen. Passend dazu trug er einen Lodenanzug,
der seinem vielleicht achtzigjährigen Körper eine fellartige Struktur verlieh.
Der Anzug als Haut, passend dazu die Krawatte, die gleich einem Appendix aus
dem Kehlkopf dieses Mannes herausgewachsen war.
Er ging auf Teska Landau zu, verbeugte sich und küßte ihr
den Handrücken, ohne freilich seine Lippen direkt auf die Damenhaut zu legen.
Dann richtete er sich sehr gerade auf, schüttelte Rosenblüt die Hand und
stellte sich als Fabian, Professor Doktor Gotthard Fabian, vor. Er sei der
Vorsitzende des Altherrenverbands und damit auch der Vorsitzende des
Bundeskonvents, des obersten Organs der Burschenschaft Adiunctus.
"Nicht, daß Sie denken, ich wohne hier. Aber ich habe
heute einige Gäste. Eine kleine Runde alter Freunde. Wir sitzen draußen im Garten."
"Das ist schön, Herr Professor", säuselte
Rosenblüt, "denn dieses Gartens wegen erlaube ich mir, Sie zu stören."
"Was Sie nicht sagen! Wären Sie von der Stuttgarter
Polizei, könnte ich mir noch etwas zusammenreimen, aber ich frage mich schon,
was die braven Bajuwaren unsere kleine Idylle kümmert."
"Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Es geht um
die Löwen."
"Löwen?"
"Löwen, die weinen."
"Sie meinen die Wasserspeier?"
"Genau."
"Sie sind jetzt aber nicht von einer
Denkmalschutzeinrichtung des Münchner Polizeipräsidiums, von der ich noch nicht
wußte, oder? Außerdem darf ich versichern, daß wir unserem Haus und diesem
Garten und somit auch diesem Brunnen mit der größten Sorgfalt begegnen. Wir
achten auf unser Erbe."
"Erfreulich", kommentierte Rosenblüt und
erkundigte sich, ob es möglich wäre, sich die Löwen anzusehen und dabei ein
wenig zu plaudern.
"Ich sagte Ihnen bereits, ich habe Gäste",
erinnerte Fabian.
"Ihre Gäste will ich gar nicht sehen, nur den
Brunnen. Und dann noch ein paar Worte zu Herrn Professor Uhl."
"Aha, daher weht der Wind. Unser Bundesbruder Uhl
lebt ja derzeit in München. Was ihm vergönnt sein mag. Eine wunderbare Stadt,
in der die Menschen aufrechten Hauptes zu gehen verstehen."
"Tun sie das denn in Stuttgart nicht?"
"Lieber Herr
Weitere Kostenlose Bücher