Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
Vom Netzwerk:
kleine Ermittlung. Ich
glaube, es war nicht allein der Anblick der Brunnenfiguren, der einen Kollegen
animiert hat, von weinenden Löwen zu sprechen, sondern auch die Beteuerungen
und Interventionen einiger prominenter Fürsprecher unter ihren Alten Herren.
Die Sache ist dann bald eingeschlafen."
    "Worum ging es überhaupt?"
    "Nichts wirklich Schlimmes, eine interne Schlägerei,
ausnahmsweise ohne feste Regeln. Einer von den Füchsen - also einer ihrer
Jungmitglieder - ist ziemlich übel zugerichtet worden."
    "Gut und schön. Ich frage mich nur, wie jemand wie
Aydin von so etwas wissen kann."
    "Na ja, wenn er mit diesen Leuten zu tun hat, kennt
er möglicherweise ihre Geschichte. Auch die, die nicht im Internet steht."
    "Sagten Sie denn nicht, nur die Polizei hätte diese
Formulierung gebraucht?"
    "Vielleicht ist meine Vermutung ja Nonsens."
    "Das glaube ich nicht", meinte Rosenblüt. "Jedenfalls
haben wir einen Hinweis, etwas, womit wir arbeiten können. Nach dem Kaffee
fahren Sie mich zu diesem Haus hoch."
    "Was? Zu dem Adiunctenhaus?"
    "Ja."
    "Hören Sie, bei einem kleinen türkischen
Schwarzhändler kann man vielleicht so einfach reinplatzen, aber sicher nicht in
die ehrwürdige Villa farbentragender und pflichtschlagender Bundesbrüder. Was
sollen wir denen denn sagen? Daß wir uns den Brunnen ansehen wollen? Außerdem
ist es Abend."
    Nun, das stimmte, es war Abend, da hatte Landau recht.
Auch war es nicht so, daß Rosenblüt sich darüber freute, wie dank Aydins Rätsel
eine Burschenschaft ins Blickfeld seiner Ermittlungen geraten war. Wäre er
jetzt der Autor eines Romans gewesen, dann hätte er sich das Auftauchen einer
studentischen Verbindung in seiner Geschichte untersagt. Diese Leute empfand
er als wandelndes Klischee, als wandelnde Karikaturen obskurer Gesinnung sowie
einer so reaktionären wie intimen Brauchtumspflege und geradezu infantiler
Mutproben. Wie sie da ihre Mensuren pflegten und einen Kult aus der größten
Dummheit machten, nämlich nicht zurückzuweichen, sondern aufrecht dazustehen
und der Furcht zu widerstehen, im Stile derer, die über Schlangengruben
springen, als sei es nicht das klügste, um solche Gruben weite Bögen zu ziehen.
Das Zurückweichen als Niederlage zu definieren, war so vollkommen typisch für
diese Gruppe junger und alter Herren, auch, daß es allein darum ging, Gesicht
und Kopf des Gegners zu treffen und im günstigsten Fall jene hübschen Verletzungen
zu verursachen, die als Narben, oder wenigstens gedachte Narben, etwas von
einem nach innen gewandten Auge besaßen, einem Auge, das in der Zeit
zurückschaute, zurück ins neunzehnte Jahrhundert, wohin sich viele
Burschenschafter sehnten. Und zwar gerade darum, weil in der Öffentlichkeit
Schmisse als etwas Obsoletes, Hinterwäldlerisches galten. Nun, das mochte man
so oder so sehen, ebenso die Frage, inwieweit die einzelnen Verbindungen nicht
bloß nationalistisches, sondern auch nationalsozialistisches Gedankengut
vertraten oder insgeheim pflegten. Für Rosenblüt war es in jedem Fall so, daß
diese Gruppierungen über die Generationen hinweg einen Klub gegenseitiger
Hilfestellung und Vorteilnahme bildeten, eine Elite, deren Berechtigung sich
aus dem Umstand des Einanderkennens, des Miteinanderverbundenseins ergab. Im
Grunde handelte es sich um eine andere Form von Erbgesellschaft, deren wohl
wichtigstes Element darin bestand, gewisse Positionen in Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft frei von unerwünschten Einflüssen zu halten.
    All dies führte zu einem Bild, das sich schwerlich
eignete, Stories zu entwickeln, in welchen die Burschenschafter die "Guten"
verkörperten. Ihre autoritären Strukturen, die Lächerlichkeit und
gleichzeitige Brutalität ihrer Rituale sowie eben ihre politischen und
ökonomischen Seilschaften ließen sie in Filmen und Romanen als die Vertreter
der dunklen Seite der Macht erscheinen. Dunkel und halt auch komisch. Zwischen
einem wirklichen Altherrenfunktionär in voller Tracht und dem karikierenden
Bildnis einer solchen Figur etwa bei George Grosz war kaum ein Unterschied
festzustellen.
    Kommissar Rosenblüt wäre dem Klischee gerne ausgewichen.
Aber hier war nun mal kein Roman, er konnte die Sache nicht neu schreiben, war
außerstande, die "weinenden Löwen" in "blutende Stiere"
oder ähnliches zu verwandeln, um der ganzen Sache eine spanische Richtung zu
geben beziehungsweise diverse Richtungen auszuprobieren: fliegende Rehe,
verwirrte Salamander, nervöse Fische.
    Darum insistierte er

Weitere Kostenlose Bücher