Steinfest, Heinrich
führte seine Gäste an den hinteren
Teil, wo sich eine schmale Lücke auftat, so schmal, so sehr bereits vom
Nachtschatten besetzt, daß man sie kaum bemerkte. Ein dicker Mensch hätte nicht
hindurchgepaßt. Aber keiner war hier dick, weshalb man sich nun mühelos in das
Innere dieses gärtnerischen Kabinetts begeben konnte.
"Holla!" kommentierte Rosenblüt, wie man sagt:
Endlich mal ein Geschenk, das nicht hinter seine Verpackung zurückfällt!
Auf einer Fläche, die etwa so groß war wie jener
unterirdische Raum, in dem eine komplexe vorchristliche Maschine festsaß und
sich nicht und nicht rührte, öffnete sich ein ovales Becken im barocken Stil.
An allen vier Heckenseiten waren steinerne Bänke aufgestellt, und in
gleichmäßigen Abständen neigten sich fünf wasserspeiende Löwen zur Mitte hin.
So wie Landau angekündigt hatte, drangen nicht nur Fontänen aus ihren Mündern,
sondern floß auch Wasser aus ihren Augen, weshalb sich der Eindruck
tränenreicher Gemüter ergab. Alle fünf verharrten im Sprung auf jene
Brunnenmitte zu, aus der eine weitere Skulptur aufragte, nicht größer als die
Löwen, aber dank eines Sockels etwas höher gesetzt. Rosenblüt hätte nicht sagen
können, was es darstellte. Es handelte sich um ein kastenförmiges Objekt:
tresorartig, kubisch, der Stein etwas dunkler und grober als der Rest, wobei
der Körper nicht direkt mit dem Untergrund verbunden schien, sondern es so
aussah, als würde er ein paar Zentimeter in der Luft schweben. Eine optische
Täuschung.
"Deus ex machina", sagte Fabian.
Rosenblüt und Landau blickten ihn fragend an. Rosenblüt,
weil er keine Ahnung von diesem Begriff hatte, Landau hingegen, weil sie eine
Ahnung hatte.
Fabian erklärte, der Brunnen hätte bereits auf diesem
Grundstück gestanden, bevor noch der Stammsitz der Adiuncten zu Beginn des
zwanzigsten Jahrhunderts errichtet worden war. Ein Brunnen ohne Haus, ohne
angelegten Garten, ohne Datierung, ohne Historie, ohne Namen, tief im Gestrüpp,
verwildert, rätselhaft.
"Was kann man da machen?" sagte Fabian. "Unser
damaliger Altherrenkonvent hat jedenfalls beschlossen, Bassin und Figuren zu
renovieren und um die Anlage herum eine Hecke zu pflanzen. Die Hecke als Grenze,
weil es sich schließlich um einen fremden Brunnen handelte. Wer sich aber die
Mühe macht, ins Wasser zu steigen, um sich den Mittelteil näher anzusehen, wird
eine Gravur finden, die da lautet: Deus ex machina."
Mit Blick auf den unwissenden Rosenblüt erläuterte Fabian,
daß es sich dabei um jene Theatermaschine handle, die das Auftauchen einer
Gottheit in der antiken Tragödie bewirkt. Einer Gottheit, die, gehalten von
einem Kran, auf die Bühne schwebt.
"Ich sehe hier keinen Kran", bemerkte Rosenblüt.
"Da haben Sie absolut recht. Den Kran scheint man
sich erspart zu haben. Fragen Sie mich nicht, warum. Faktum bleibt, daß dieser
Gott aus der Maschine immer dort auftritt, wo die Menschen außerstande sind,
einen Konflikt zu lösen. Er greift ein und beendet das Drama."
"Und die Löwen?"
Fabian zuckte mit den Schultern: Er wisse nicht, welche
Funktion die Löwen hätten, jedenfalls sehe es nicht danach aus, als seien sie
Sympathisanten jener auftauchenden Gottheit. "Man kann auch sagen, es ist
einfach ein Brunnen. Brunnen müssen gestaltet sein. Und Löwen sind eben auf
Brunnen abonniert, oder nicht?"
"Mir scheint", erklärte Rosenblüt, "Sie
haben was gegen den Brunnen?"
"Wie ich sagte, er stand schon früher da. Gehörte
also nicht zum Plan des Architekten, den unsere Gründerväter beauftragt haben.
Und Sie haben recht, ich finde den Brunnen befremdlich. Er steht isoliert für
sich, was ein Zierbrunnen eigentlich nicht sollte. Zierbrunnen schmücken.
Dieser aber postuliert."
"Und Uhl?" fragte Rosenblüt. "Wie denkt Professor
Uhl über diesen Brunnen?"
"Nicht, daß ich mich erinnern könnte, daß er sich je
dazu geäußert hätte. Aber sagen Sie, was ist überhaupt los mit Uhl?"
"Er wurde bedroht."
"Was soll das heißen?"
"Sein Junge wurde überfallen."
"Martin?"
"Ja. Der Sinn dieses Überfalls scheint gewesen zu
sein, Vater Uhl einzuschüchtern."
"Meine Güte, wieso das denn?"
"Das herauszufinden bin ich hier."
"Da sind Sie dann aber am falschesten aller Plätze",
verlautbarte Fabian, welcher in keiner Weise nervös oder verunsichert wirkte. "Kollege
Uhl hat an diesem schönen Ort keine Feinde, nur Freunde. Zudem verstehe ich
nicht, was das mit diesem Brunnen und den Löwen zu tun haben sollte."
Rosenblüt
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