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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Dach des Pavillons gesehen
hatte.
    "Ein Bürgermeister, das ist schlecht", äußerte
Rosenblüt. Er sah sich schon ein zweites Mal aus der Stadt geworfen und meinte:
"Jetzt müssen wir aber gehen, bevor Fabian tatsächlich die Polizei ruft.
Er ist ein zorniger kleiner Mann, auch wenn er vorgibt, sich unter Kontrolle zu
haben. Keiner hat sich unter Kontrolle, dem die Ehre im Hirn steckt. Das ist
wie bei einer mißlungenen Lobotomie."
    Also gingen sie.
    Als sie am Pavillon vorbeikamen, sahen sie sowenig zu den
Weißhemden hinüber wie die Weißhemden zu ihnen. Aber die Eisfläche auf
Professor Fabians Hornhaut hatte sich ausgedehnt, überzog den ganzen Garten.
Und nur, weil es Sommer war, konnte man meinen, das Knistern stamme von den
vielen Insekten, die in den Flammen der im Gras aufgestellten Kerzenlichter
verglühten.
     
    Auf dem Gehweg saß noch immer Kepler. Am Himmel über ihm
brannten erste Sterne. Landau faßte Rosenblüt an der Schulter und drehte ihn so
zu sich hin, daß er dachte, sie wolle ihn küssen. Große Güte, wie kam er bloß
auf diese verwegene Idee? Nein, sie hatte nichts dergleichen vor, verblieb in
vernünftiger Entfernung, sah zu ihm hoch und fragte: "Wissen Sie
eigentlich, was Deus ex machina heutzutage bedeutet?"
    Er gestand ihr, nicht einmal gewußt zu haben, was in der
Antike damit gemeint gewesen war. Ihm sei nur der Geist in der
Maschine, nicht der Gott aus der
Maschine bekannt.
    Landau erklärte: "Wäre das hier ein Buch, ein Film,
eine Geschichte, und würde jetzt plötzlich Ihr Hund zu sprechen anfangen, um
uns einen Tip zu geben, wie wir diese Adiunctenmischpoche überführen können,
genau das wäre dann ein moderner Deus ex machina. Hilflose Autoren bedienen
sich seiner, Autoren, die sich in ihren Geschichten verheddern, nicht mehr
weiter wissen und darum redende Hunde auftreten lassen, wenn nicht Ufos oder
Helden aus dem Nichts."
    "Gebe Gott, daß wir uns nicht verheddern",
betete Rosenblüt. "Gebe Gott, daß Kepler nicht demnächst zu sprechen
anfängt."
    "Amen", schloß Landau.
    Zu dritt stiegen sie in den VW-Bus.
     
    Mach und die Melancholie
     
    Draußen funkelte die nachthelle Stadt und bildete auf
diese Weise ein nervöses, aber kräftiges Spiegelbild zum sternenbeladenen
Himmelszelt, auch wenn natürlich nur geringe Anteile dieser Beladung zu erkennen
waren. So war das nun mal im Leben: in einer Welt intensiver Spiegelbilder
wirkten die Objekte der Spiegelung wie ausgelaugt.
    Der Mann hingegen, der an einem Tisch saß und über die
offene Balkontüre hinaus auf die Stadt sah, fühlte sich ganz und gar nicht
ausgelaugt, obwohl er kaum mehr als drei, vier Stunden schlief und sich selten
mehr als eine Kaffeepause gönnte. In der Tat beschränkte Wolf Mach das Essen
auf ein Minimum - nur ein trockenes Stück Brot hin und wieder, ein paar Oliven,
eine Banane, damit er den Kaffee besser vertragen konnte. So ging das seit drei
Wochen. So lange befand er sich in Stuttgart. Er selbst blieb im Rahmen des
Gewohnten dennoch sichtbar und lebendig, während sein Spiegelbild, ein wenig
gemäß dem Dorian-Gray-Prinzip, blasser und blasser wurde. Bald würde Mach auf
Badezimmerspiegeln und Fliesen und Fensterscheiben nicht mehr zu sehen sein.
Gut, derartiges kam schon mal vor, fiel nur selten auf. Vor allem, wenn
Menschen in Kürze starben, verlor sich ihr Spiegelbild und ging schon mal ein
Stück voraus. Bedeutete das also, daß Wolf Mach demnächst der Tod ereilen
würde?
    Das war aber nicht die Frage, die ihn bedrückte, sondern
allein, das Wesen jener Maschine zu erkunden, die in der Stuttgarter Erde
steckte und einer ehrgeizigen Stadterneuerung zuwiderlief. Tag für Tag stand
Mach vor der Apparatur, die Vorder- und Rückseite studierend, die vielen
Zeiger, Skalenscheiben und kalendarischen Strukturen und die in Altgriechisch
verfaßten Inschriften, welche die Seitenteile dominierten. Diese
Schriftzeichen waren allerdings stark von den Bedingungen einer an der
Oberfläche nagenden Zeit beeinträchtigt worden, während die Zahnräder und das
Differentialgetriebe erstaunlich intakt schienen. Zwar ließen sie sich nicht
bewegen, blieben erstarrt, versteinert, doch war Mach in den vergangenen Wochen
zur Überzeugung gelangt, daß dies nicht dem Zustand des Materials zu verdanken
war, sondern banalerweise damit zusammenhing, daß die Maschine "ausgeschaltet"
war. Natürlich nicht im herkömmlichen Sinn, schließlich war das kein Ding, das
mit Strom oder Treibstoff angetrieben wurde.

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