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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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als
überreiche er Kingsley eine Obstschüssel, und erklärte: "Sie haben
jetzt die Bilder. Und das ist gut so."
    "Wieso ist das gut?" staunte die Frau im
schwarzen Hosenanzug.
    "Weil Sie besser darauf achtgeben können. Noch
einmal: Es ist Ihr Job, die Dinge zu beschützen. Ich will Sie nur ersuchen, den
Stick zunächst einmal nicht an Palatin weiterzugeben. Bewahren Sie ihn einfach
auf. Bitte!"
    Kingsley gab keine Antwort. Doch wenn zuvor davon die Rede
gewesen war, daß ihr Gesicht und ihr Blick die Qualität eines versteinerten
Steins besäßen, so war nun zu erkennen, daß in jeder Versteinerung eine
Erinnerung an das wahrhaftige Leben steckt, an die Lebenslust. Ein Stein ist
eine Reminiszenz. Kingsley öffnete den Zippverschluß an der Seite ihres so
eleganten wie panzerartigen Jacketts und lagerte dort den Datenträger ab. Dann
sagte sie: "Demnächst kommen die ersten Leute. Die werden wohl fragen, was
der Spiegel hier soll."
    Da hatte sie zweifellos recht. Also hoben sie zusammen das
hohe Glasteil aus der improvisierten Verankerung und trugen es nach oben.
Draußen blühte bereits der Tag. Die Vorübergehenden lachten. - Über Spiegel im
Freien wird immer gelacht, denn sie gelten als ein fixer Teil der Innenräume,
ähnlich den Toiletten. Außerhalb ihrer gewohnten Stätten schaffen sie eine
peinliche Verunsicherung. Als sei es abwegig, die Natur dort spiegeln zu
wollen, wo kein Bergsee oder Parkteich dies bewerkstelligt. Wird mal ein
Spiegel im Freien akzeptiert, muß es sich gleich um moderne Kunst handeln, über
die ja ebenfalls gerne gelacht wird.
    Nun, Mach und Kingsley waren nicht der Kunst verpflichtet,
weshalb sie den Schrankspiegel zurück zum Auto brachten und damit in Kingsleys
Wohnung fuhren, wo sie ihn wieder an seine alte Stelle montierten. Kingsley
nicht ohne das ungute Gefühl, sich mit diesem Spiegel ein Gespenst in die
Wohnung geholt zu haben, das zuvor nicht in diesem Spiegel gewesen war.
    Danach standen sie beide da, der Schutzbefohlene und die
Beschützerin, wie man dasteht, wenn man erschöpft ist. Auch Kingsley kam in
diesen Wochen kaum zum Schlafen. Die Bewachung Machs war ganz allein ihre
Sache. Kurze Schlafpausen legte sie nur ein, wenn Mach im "Planetariumskeller"
arbeitete. Doch selbst da blieb sie in seiner Nähe.
    Es war jetzt aber Mach, der sagte: "Ich bin sehr
müde."
    "Wollen Sie sich hinlegen?" fragte Kingsley.
    Mach nickte.
    "Kommen Sie." Kingsley zeigte ihm den Weg ins
Schlafzimmer.
    "Wow!" fuhr Mach aus seiner Müdigkeit hoch. Der
hohe, abgedunkelte Raum verfügte auf seiner gesamten Rückseite über ein in die
Wand gefügtes längliches Terrarium, einen dichten Dschungel, ein gut
beleuchtetes Tropenreich.
    "Was sammeln Sie da drin?" fragte Mach.
    "Luftfeuchtigkeit", erklärte Kingsley keck. Nun,
ein paar Frösche waren wohl auch dabei, zudem Insekten, die schwer von ihrer
Umgebung zu unterscheiden waren.
    Vor dieser hübschen Installation der Wildnis breitete sich
ein Futon aus und darauf, äußerst präzise glattgestrichen, lagen zwei
gefaltete, schwarzweiß gemusterte Bettdecken. So richtig zum Schlafen sah es
nicht aus. Doch Kingsley meinte: "Pennen Sie eine Runde."
    In Anbetracht des emotionslosen Tons, mit dem sie immer
alles kommentierte, klang das Wort "pennen" wie eine Verspieltheit.
Und es klang wie eine Aufforderung an Mach, sich eine Frechheit herauszunehmen.
Genau das tat er.
    Er fragte: "Darf ich Sie küssen?" War er jetzt
übergeschnappt?
    Kingsley antwortete: "Nein."
    Natürlich sagt sie nein, dachte sich Mach. Was bilde ich
mir auch ein! Das ist eine Frau, die würde sich wahrscheinlich nicht einmal von
George Clooney oder Mel Gibson küssen lassen!
    Nun, von Mel Gibson hätten sich zwischenzeitlich eine
ganze Menge Frauen nicht mehr küssen lassen. Aber das war nicht der Punkt. Der
Punkt war, daß Kingsley, kurz bevor sie Mach beim Planetarium begegnet war,
eine Zigarette geraucht hatte. Obgleich das schon einige Zeit her war, meinte
sie noch immer den kaltgrauen Geschmack von Tabak im Mund zu haben. Sie gehörte
zu den Raucherinnen, die mit ihrer Leidenschaft rangen. Ihr ekelte vor diesen
vier, fünf Zigaretten, die sie über den Tag verteilt konsumierte. Andererseits
hielt sie es für absolut nötig, ihren Hunger - den nach Brot und Käse und Süßigkeiten,
welcher sie ebenfalls vier-, fünfmal am Tag überfiel - niederzurauchen. Was
bestens funktionierte. Nur der Ekel blieb. Und darum ging sie erst einmal ins
Badezimmer, griff nach der elektrischen

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