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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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verriet. Zudem erkannte
Mach jetzt die seitlich gegen den Kopf gepreßten Fäuste, wobei die punzierte
Musterung des Hinterkopfs an einen Helm denken ließ. Und diese Vorstellung von
einem massiven Kopfschutz paßte ja ebenfalls bestens zu dem geknickten, in die
Geometrie dieser hockenden Figur sich einfügenden Stab, der in eine Spitze
mündete und einer Waffe glich. Wie auch die beiden kurzen Stangen, die aus der
linken Seite ragten, nun aber nicht mehr wie Griffe von Kurbeln aussahen,
sondern eher wie die Griffe von Schwertern. Wie gesagt, keins der im Spiegel
sichtbaren Teile war wirklich anders als die, die Mach seit Wochen mit allen
technischen Raffinessen betrachtet und untersucht hatte, und dennoch ergab sich
ein völlig neues Bild, eine neue Bedeutung und ein neues Zusammenhängen der
Teile, woraus ein einziger Schluß resultierte: es mit einer Gestalt, einer
Figur zu tun zu haben, die zu größtmöglicher Dichte und Kompaktheit
zusammengekauert am Boden saß, eine Figur, die, würde sie sich öffnen und
sodann erheben, eine Höhe von etwa vier Metern erreicht hätte. Eine Figur, die
nach Machs Empfinden letztlich nur eine Interpretation zuließ: einen ruhenden
Krieger darzustellen, besser gesagt, einen schlafenden Krieger.
    So gewagt diese These sein mochte, Mach zweifelte keinen
Moment. Und begann auch dann nicht zu zweifeln, als er den schlafenden
Krieger wieder direkt betrachtete und es ihm erneut unmöglich wurde, etwas
anderes zu erkennen als die Teile einer antiken Maschine, die Skalen und
Zeiger, die Zifferblätter und Abdeckungen, die Inschriften, die beiden
seitlichen Kurbeln. Und keine Frage, diese Teile waren ja tatsächlich
vorhanden, ein Gerät darstellend, das in Wirklichkeit einen die Zeit
überdauernden Kämpfer, einen im Schlaf erstarrten Soldaten verbarg. Wodurch
sich Machs erster Eindruck, es mit einer Maschine im Ruhemodus zu tun zu haben,
bewahrheitete. Freilich sehr viel eigentümlicher, als er ursprünglich gemeint
hatte.
     
    Eines nun dachte Mach nicht, nämlich verrückt geworden zu
sein. Im Gegenteil. Allerdings war seine nächste Idee durchaus verrückt zu
nennen. Wenn er das Objekt mit dem Tomographen hatte durchleuchten können,
warum dies nicht auch mit dem Spiegelbild versuchen? Eben nicht den Spiegel zu
tomographieren, sondern das Bild im Spiegel.
Dies war zwar eigentlich unmöglich, doch hielt Wolf Mach es in diesem Moment
ganz offenbar mit den Franzosen, eingedenk des Ausspruchs Napoleons: "Unmöglich
ist kein französisches Wort."
    Daß spätestens jetzt ein richtiger Spiegel not tat, stand
somit ebenfalls fest. Mach sah auf die Uhr. Er hatte noch gut drei Stunden,
bis die ersten Mitarbeiter eintreffen würden; zudem hatte sich Palatin für den
Morgen angekündigt. Mach blickte noch einmal zu dem schlafenden Krieger,
ehrfurchtsvoll, dann verließ er den Raum und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Als
er gerade das Planetarium verließ, kam ihm Kingsley entgegen. Ihr Gesicht war
ein Stein, ein schöner, glatter Stein, nur halt ein bißchen unbeugsam.
    "Das kann mich meinen Job kosten", bellte sie
Mach an und baute sich senkrecht aufragend und monolithisch vor ihm auf. Genau
so könnte der schlafende Krieger aussehen, würde er aus seinem Schlaf erwachen
und sich zu voller Größe entfalten, fuhr es Mach durch den Kopf. Laut aber
entschuldigte er sich. Es sei ja nichts geschehen. Und natürlich werde er
niemandem verraten, daß sie, Kingsley, eingeschlafen sei.
    Kingsley erwiderte: "Machen Sie das nie wieder. Wieso
sind Sie überhaupt abgehauen, ohne mir etwas zu sagen?"
    "Um ehrlich zu sein", log Mach und entzündete
zugleich den Funken einer Wahrheit, "wollte ich Sie schlafen lassen. Sie
sind doch auch nur ein Mensch."
    Kingsley verzog ihr Gesicht zu einer Falte. Dann fragte
sie: "Und was machen Sie hier?"
    "Ich suche einen Spiegel."
    "Was für einen Spiegel?"
    "Irgendeinen. Einen Zimmerspiegel. Nicht zu klein."
    "Und wofür?"
    "Na, zum Spiegeln", wich Mach aus. Und sagte: "Es
ist eilig. Ich will das erledigen, bevor die anderen kommen. Fragen Sie nicht,
warum. Helfen Sie mir einfach. - Sie sind doch da, um mir zu helfen, oder?"
      Kingsley gab keine Antwort. Aber
sie half. Ihr Wagen stand drüben an der Bushaltestelle (sie hatte ihn noch nie
auf einem legalen Parkplatz abgestellt, das schien ebenfalls zu ihren
Markenzeichen zu gehören) . Sie fuhr mit Mach hinüber zu ihrer Wohnung, einer
Wohnung, so ordentlich und kalt und unpersönlich, daß man meinen konnte, beim
Gehen

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