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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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und Baumschützers verabschiedete. Sollte es zu
Auseinandersetzungen kommen - und das würde es wohl -, wollte er brav sein
Scherflein beitragen, vereint mit einer Vielzahl anderer sich von der Polizei
wegschleppen lassen, um in der Folge seine Personalien bekanntzugeben und eine
Ermahnung des Staates zu riskieren. Gewissermaßen einen erhobenen Zeigefinger
ob solchen Aufbegehrens. Darauf schien es zunächst hinauszulaufen, denn
diejenigen, die den Staat im Grunde weniger vertraten, als daß sie ihn als ihr
Eigentum betrachteten, empfanden aus dieser Haltung heraus die gemeinen Bürger
als "Besitzstörer", die man folglich mit diversen Formen von "Besitzstörungsklagen"
zudecken konnte.
    Wie auch immer, Tobik hielt sein Dabeibleiben für eine
perfekte Tarnung. Denn Menschen, die bereit waren, einen Abzug zu drücken und
das Spiel der Mächte auf eine ganz andere, eine höchst intime Ebene zu führen
(denn was sollte intimer sein als das Töten?), waren selten jene, die in
freundlichen Grüppchen um Bäume saßen und sich von den Herren und Damen
Polizisten abtransportieren ließen, welche dafür immerhin bezahlt wurden. -
Noch konnte niemand ahnen, daß die Herren und Damen Polizisten am Ende dieses
Sommers den Auftrag bekommen würden, auf das mühselige Wegschleppen alter und
junger Bürger zu verzichten, um statt dessen eine Durchschlagskraft beweisen
zu müssen, die man etwa im Kampf gegen den massiven Einfluß der kalabrischen
Mafia auf die Stuttgarter Wirtschaft und Politik sträflich vermissen ließ.
Anstatt die organisierte Kriminalität, den Staat im Staat, in seine Schranken
zu verweisen, würde die Polizei vor aller Welt dokumentieren, wie gewandt sie
mit Pfeffersprays, Tränengas und Wasserwerfern umzugehen in der Lage war. Ein
österreichischer Blogger würde dazu treffend anmerken, was für ein großes
Glück es für den Mauerfall gewesen wäre, daß damals nicht die Westpolizei zum
Einsatz gekommen sei.
     
    Da saß der als Parkschützeraspirant getarnte Hans Tobik
also nun in einem Kreis von vielleicht zwanzig Leuten, die Harmlosigkeit in Person:
ein Mann, der seine besten Jahre ungenutzt vertan hatte, weißhäutig trotz
vieler zurückliegender Sonnentage, Hutträger, Brillenträger, schweigsam, in
lockerer Freizeitkleidung, die fremd an seinem Körper wirkte, dünne Arme, dünne
Beine, dafür wie zum Ausgleich ein Bäuchlein, das Unter- und Oberleib zu einer
einheitlichen Masse verband. Bedauernswerte Polizisten, die an einer solchen
Gestalt ihre Kraft abarbeiten sollten.
    Es waren zwei Trainer, junge Leute, welche die Teilnehmer
begrüßten und sodann begannen, die Notwendigkeit des Trainings zu erklären.
Tobik hörte halb zu, halb war er auf die anderen Personen konzentriert, die
hier auf ihren Matten saßen, jeder mit einem handgeschriebenen
Vornamensschildchen auf der Brust. So würde es den ganzen Tag bleiben - im
Gespräch, während der Übungen, in der Diskussion, bei der Bildung der
Bezugsgruppen, bei der Mittagspause -, daß Tobik sich über die Biographien, die
Schicksale dieser Menschen seine Gedanken machte.
    Einige nervten ihn, vor allem eine Frau in seinem Alter,
eine energische Besserwisserin, Typ Oberstudienrätin, mit einem Mund aus zwei
leicht nach unten gebogenen Rasierklingen. Einen solchen Mund zu küssen war die
absolute Horrorvorstellung. Hinter einem solchen Mund konnte sich nur eine
Schlangenzunge befinden. Selbstredend war es auch diese Madame, die sogleich
herumnörgelte, als sich hier unter freiem Himmel einige eine Zigarette
anzündeten. Es war klar, daß die Bemerkungen, die sie dann in die Runde warf,
Sachlichkeit nur vorspiegelten, während es ihr allein darum ging, alles und
jeden in Frage zu stellen. Derlei Frauen, dachte Tobik, leben von einem einzigen
Ding: von der Fehlersuche. Die Welt, die Welt der anderen, besteht für sie nur
aus Makeln, die es zu benennen und zu kritisieren gilt. - Wenn zuvor gesagt
worden ist, Glenn Gould sei ein Klavier und Hans Tobik ein Gewehr, so muss man
nun sagen, solche Frauen sind ein Rotstift. Wo auch immer sie auftauchen, sie
ziehen über alles und jeden eine rote Spur, markieren alles und jeden mit einem
Korrekturzeichen, nur sich selbst nicht, klaro! So bleiben sie als einziges
Objekt frei vom Rot. Das ist ihr vermeintlicher Triumph, rotfrei, korrekturfrei
zu sein. Wehe freilich, wenn zwei Frauen dieses Kalibers aufeinandertreffen,
dann spritzt das Rot nur so.
    Glücklicherweise war nur eine von dieser Sorte vor Ort,
zudem hatten

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