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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Zahnbürste und absolvierte die
Reinigung ihrer selbstredend makellos weißen Zähne.
    Mach freilich erkannte diesen Punkt nicht, diesen
Raucher-Punkt. Meilenweit entfernt von einem sogar ungeküßten George Clooney,
entsprach sein Äußeres viel eher dem Woody Allens, der auch immer solche
Brillen und solche Hemden trug, Hemden, unter denen ein schwächlicher Brustkorb
mehr in der Luft hing als sonstwas.
    Doch die Wahrheit war die, daß Kingsley, hätte sie sich
zwischen Braveheart und Manhattan entscheiden
müssen, ganz eindeutig für die New-York-Ode votiert hätte, nicht zuletzt des
schmächtigen Hauptdarstellers wegen. Sie gehörte zu den Frauen, die der
Ansicht waren, daß es, wenn man selbst bereits so schön war - und das war sie
bei Gott -, nicht nötig sei, auch noch einen schönen Mann zu haben. Lieber
einen verrückten oder interessanten oder auf eine interessante Weise
mittelmäßigen. Schöne Männer waren zudem selten gute Liebhaber. Schwer zu
sagen, warum das so war. Vielleicht verwechselten schöne Männer die Schönheit
mit der Liebe, vielleicht meinten sie, der Anblick, den sie boten, würde
genügen. Vielleicht begingen sie den Irrtum, sich für ein Gemälde zu halten.
    Wie auch immer, Kingsleys Ablehnung, geküßt zu werden, war
einzig darauf zurückzuführen, daß sie zuerst einmal, bevor sie hier irgendeine
Entscheidung zu treffen gedachte, den Nikotingeschmack aus ihrem Mund verbannen
wollte.
    So kühl und distanziert Kingsley gerne daherkam, sowenig
sie je eine bindende Beziehung eingegangen war und sosehr ihre viskotische
Körperlichkeit den Verdacht zuließ, ursprünglich auf einem Computer entworfen
worden zu sein, empfand sie dennoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, nach einem
Berührtwerden und Berührtsein. - Sagen wir mal so: Auch Glasfasern haben
Gefühle, wenn in ihnen eine Seele einsitzt. Bei einem Stück Fleisch ist es doch
genauso. Oder würde jemand auf die Idee kommen, dem Menschen die Seele abzusprechen,
nur weil ein Fleischlaibchen über eine solche Seele höchstwahrscheinlich nicht verfügt?
    Mach lag bereits nackt unter der Decke und befand sich mit
einem Bein in einer besseren Schlafwelt, als er spürte, daß auch das Diesseits
einen Zauber für ihn bereithielt: Kingsleys Front schmiegte sich an seinen
Rücken. Ihre Brüste waren wie ein BH, der lebendig geworden war und so
gewissermaßen eine Personalunion bildete. Mach zuckte auf. Er meinte, ein
Stromschlag habe ihn ereilt. Gut, was Elektrisches war es ja wohl auch. Keine
homöopathische Dosis von Strom, aber eine therapeutische.
    "Du kannst mich jetzt küssen", sagte Kingsley.
Ihre Stimme war so, als hätte William Turner ein Aquarell mit dem Titel Kingsley
spricht gemalt. - Na, wenn man schon einen englischen Namen trägt!
Allerdings hätte jemand wie zum Beispiel Ratcliffe, der Stuttgarter Ratcliffe,
niemals in seinem Leben etwas sagen oder tun können, was zu einem Bild von
Turner geführt hätte. Des Projektsprechers Handeln paßte eher zu den banal
bunten Kunst-am-Bau-Stelen des Otto Herbert Hajek, die überall in Stuttgart
herumstanden und die Stadt verschandelten.
    Das Prinzip des Abreißens ist immer, das falsche Ding
abzureißen. Das Prinzip des Küssens ist immer, die falsche Person zu küssen.
Doch wenn der Teufel für den Zufall zuständig ist, dann Gott für die Ausnahmen.
- Mach küßte Kingsley.
    Richtig, sie schmeckte nach Zahnpasta. Aber doch so, als
hätte sich die Zahnpasta in diesem Mund in etwas ungleich Edleres als bloß Olaflur
und Sorbitol und Saccharin verwandelt. Man hätte vielleicht in Anlehnung an die
Strahlerküsse der 70er-Zahncreme von einem "Strahlermund" oder einer "phosphoreszierenden
Mundhöhle", einer "Rotlichtlampe von Zunge" sprechen müssen.
    Eine Wärme erfüllte Mach. Und als er dann in Kingsley
eindrang, hatte er eigentlich das Gefühl, daß es umgekehrt war: daß Kingsley in
ihn eindrang, nicht nur, weil sie obenauf saß, sondern weil es ganz der
energetischen Dominanz ihres radioaktiven Körpers entsprach, so vollständig von
ihrem Liebespartner Besitz zu ergreifen. Er war ein Gefangener, und er war es
gern.
    Ihr beider Sex war wie ein Schachspiel, bei dem jeder ein
paar Varianten ausprobiert, nur daß Kingsley statt des Königs über eine zweite
Dame verfügte, was folglich zu einer gewissen Überlegenheit, vor allem aber zu
einer ziemlichen Unverletzbarkeit führte. Denn ein König, der nicht da ist,
kann schwerlich matt gesetzt werden. Trotzdem resultierte aus

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