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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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die beiden Trainer die Gruppe bestens im Griff. Das war es, was
Tobik überraschte und beeindruckte, wie gleichermaßen freundlich und routiniert
die zwei jungen Männer vorgingen, die Beteiligten zu Wort kommen ließen, ohne
aber ein Chaos sich "entblößender" Menschen zu riskieren. Ferner
fiel auf, wie sehr daran gedacht war, nicht nur die mögliche Taktik der Polizei
zu analysieren, sondern auch die psychische Belastung der eingesetzten Beamten,
die sich vielleicht ihrerseits bedroht fühlten, gestreßt sowieso, und welche
möglicherweise sogar im Konflikt standen, Bürger zur Ordnung zu rufen, deren
Verhalten sie insgeheim für richtig hielten. Das war eine ganz andere Stimmlage
als jener Wie-können-wir-die-Bullen-zum-Wahnsinn-treiben-Tonfall, obgleich
natürlich die Wahrscheinlichkeit gegeben war, daß nicht nur liebe Polizisten
den Stil der künftigen Konfrontationen bestimmen würden. Darum auch wurde in
Rollenspielen gezeigt, wie das so war, wenn eine Gruppe auf eine gegnerische
traf und man plötzlich zur Körperlichkeit gezwungen war, aber gleichzeitig
gewaltfrei bleiben mußte, zumindest als Demonstrant. Wie das also funktionierte:
sich quasi mit der Eleganz einer herumwirbelnden Balletteuse oder eines
schattenhaften Ninja an den Polizisten vorbeizudrehen, vorbeizuwinden -
schwebend, leichtfüßig, magisch. Nun, die Realität war freilich eine der
Bierbäuche und der im Partisanenkampf ungeübten Knöchrigkeit. Nichts für Tobik
jedenfalls, der sich dennoch wie alle Anwesenden brav abmühte, denn darum war
er schließlich gekommen: um sich brav abzumühen und nebenbei ein wenig Ärger
über die Frau mit dem Rasierklingenmund zu empfinden.
    Beim Rest der Teilnehmer handelte es sich um das übliche
Persönlichkeitsgemisch dieser Bewegung: die leicht Erregbaren, die Zahmen, die
Ängstlichen, die Kultivierten, einige, die wohl gekommen waren, um ein paar
Fremdwörter auf die Wiese zu streuen, nicht zuletzt die Klugen, die zwar
ebenfalls ein paar Fremdwörter kannten, diese aber zu Hause im
Fremdwörterlexikon gelassen hatten. Regelrechte Draufgänger gab es, zumindest
bei Tobiks Altersschnitt, nicht, aber doch einige, denen das alles nicht weit
genug ging, weil sie die Effektivität von Sitzblockaden bezweifelten und sich
überlegten, wie es wäre, zu denen zu gehören, die sich anketten oder auf Bäumen
ein Quartier beziehen wollten. Was allerdings ganz gewiß war, selbst bei den
Fremdwörterfreunden und den Fehlersuchern, das war die Ernsthaftigkeit, mit
der sich ein jeder der Sache verschrieben hatte. Jeder dieser Menschen steckte
in einer Erneuerung. Einer Verwandlung. Einer virusbedingten Metamorphose. Ihr
Ziel war nicht, die Demokratie abzuschaffen, sondern, ganz im Gegenteil, sie
einzuführen. - Ja, es gibt auch gute Viren. Der
Stuttgarter Virus war ein solcher.
    Zwei Teilnehmer stachen freilich ein wenig heraus,
zumindest nach Tobiks Dafürhalten. Aber nicht ihrer Münder wegen. Es handelte
sich um ein Paar, wobei der Mann weit weniger auffiel als die Frau, die im
Gegensatz zu allen anderen elegant gekleidet war, einen schwarzen, engen
Hosenanzug trug, eine Sonnenbrille und ihr langes Haar zu einer glatten
Kapselform hochgesteckt hatte. Das war auf den ersten Blick unpassend inmitten
all der Outdoorbekleidungen. Und dennoch war diese Frau, die sich recht
widerwillig einen Klebestreifen mit dem Namen Alicia auf die Brust montiert
hatte, absolut perfekt ausgerüstet. Ihr Hosenanzug war vollkommen elastisch,
und bei ihren ebenso schwarzen Schuhen handelte es sich um hochmodernes
Climbingschuhwerk, mit dem man genauso eine Felswand hätte hochklettern können
wie auf den Opernball gehen. Tobik konnte zudem bei den Übungen deutlich
erkennen, wie sehr diese Frau sich zurückhielt, weil es ihr sonst als einziger
spielend gelungen wäre, an den "Polizisten" vorbeizukommen. Ganz
abgesehen davon, daß es ihr wahrscheinlich ebenso spielend gelungen wäre, einen
jeden - echte oder gespielte Beamte, egal! - auf die Matte zu befördern. Ja, so
wie sie da stand, schlank, schwarz, sich im Schatten der Bäume auflösend, war
sie genau eine solche Ninjaerscheinung. Eigentlich hätte man sie für eine
Agentin der Projektbetreiber halten mögen. Dem allerdings widersprach die
fehlende Tarnung, eben nicht wie eine
grünbewegte Baumretterin erschienen zu sein.
    Ihr Begleiter hingegen erfüllte schon weit mehr die
Konventionen: ein Mann mittleren Alters, bekleidet mit Jeans, Sportschuhen und
Holzfällerhemd. Er paßte

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