Steirerherz
konnte
nun erstmals in ihr Antlitz sehen. Trotz der Schwellung im Gesicht war zu erkennen,
dass das Mädchen zu Lebzeiten bildhübsch gewesen war. Wäre sie einen Kopf größer
gewesen, hätte sie mit ihrem schlanken, wohlproportionierten Körper wahrscheinlich
als Model arbeiten können, kam es Sandra in den Sinn, als ihr ein dünner Striemen
am Hals der Leiche auffiel. Sie kniete sich nieder, um die Spur genauer zu betrachten.
Vorsichtig hob sie das schwarze Lederhalsband an, tastete hinter den Nacken der
Toten und fand einen silbernen herzförmigen Anhänger, auf dessen Vorderseite eine
geschwungene Initiale eingraviert war: V … wie Valentina.
Sandra winkte den Kriminaltechniker mit der Kamera herbei und ließ ihn weitere Fotos
vom Hals der Toten schießen. Dann nahm sie ihr das Lederband ab. »Das könnte doch
die Tatwaffe sein, oder nicht?«, meinte sie, zu Siebenbrunner gewandt.
Der überprüfte
das Schmuckstück kurz und nickte. »Sieht jedenfalls stabil genug aus«, stimmte er
ihr zu und packte die Asservate in einen Plastikbeutel, den Sandra vorerst wieder
an sich nahm. »Frau Doktor Kehrer!«, rief sie über ihre Schulter. »Schauen Sie sich
das einmal an!« Die Medizinerin unterbrach ihr Gespräch mit Bergmann und ging ebenfalls
in die Knie, um die feine, blutunterlaufene Strangmarke zu inspizieren. Dann sah
sie sich Gesichtshaut und Augen der Toten näher an. »Eindeutig Strangulation … Wir haben hier die typische Stauungssymptomatik der Gesichtsweichteile
sowie Petechien«, erklärte sie Sandra, als ob diese die auffälligen Zeichen nicht
längst selbst bemerkt hätte.
»Punktförmige Blutungen auf der
Haut …«, mischte sich Bergmann ein, der nun hinter den Frauen stand.
»… und in den Augenbindehäuten.
Die Frau wurde eindeutig erdrosselt«, bestätigte die Ärztin Sandras Verdacht.
»Wie lange ist das her?«
»Nachdem ich die Rektaltemperatur
der Leiche nicht messen kann, lässt sich die Tatzeit nicht so ohne Weiteres bestimmen.
Der Haltung nach zu urteilen, wurde sie gepfählt, als ihr Körper noch biegsam war«,
überlegte die Ärztin laut.
»Lässt sich daraus nicht der ungefähre
Todeszeitpunkt erschließen?«
»Sie ist mindestens sechs Stunden,
jedoch weniger als 20 Stunden tot. Die Leichenstarre hat bereits voll eingesetzt,
aber die Leichenflecken lassen sich noch wegdrücken. Sehen Sie?«
Sandra blickte auf das Bein, an
dem die Gerichtsmedizinerin herumdrückte, dann auf ihre Armbanduhr. »Sie müsste
demnach spätestens heute Morgen gegen drei Uhr gestorben sein.«
»Korrekt«, erklärte Doktor Kehrer,
während sie die Nadelelektroden des Reizstromgeräts an den Lidern der Leiche festmachte,
um dieser einen leichten Stromstoß zu versetzen. Als deren Gesichtsmuskeln zuckten,
lächelte die Gerichtsmedizinerin. »Und damit wissen wir, dass die Frau hier frühestens
kurz nach Mitternacht gestorben ist«, erklärte sie, während sie die Elektroden wieder
löste.
»Todeszeitpunkt: Zwischen 0 und
3 Uhr«, sprach Sandra in ihr Aufnahmegerät.
»Ob der Mord hier passiert ist,
lässt sich aber nicht feststellen?«, fragte Bergmann.
»Aus meiner Sicht kann ich das weder
bestätigen noch ausschließen.«
»Können Sie
sagen, ob sie bei lebendigem Leib gepfählt wurde?«, fragte Sandra.
Doktor Kehrer
schüttelte den Kopf. »Das wird die Obduktion klären«, meinte sie, »sie könnte mit
dem Pfahl im Leib erdrosselt worden sein. Oder aber der Strangulationstod ist kurz
vor der Pfählung eingetreten.«
Sandra war
nach der letzten Antwort nicht schlauer als zuvor. Seufzend stand sie auf.
»Was hast du da?« Bergmann blickte
auf den Plastikbeutel in ihrer Hand.
»Ach so … Das hier könnte unsere Tatwaffe
sein«, meinte Sandra.
Bergmann betrachtete das Schmuckstück
durch den transparenten Beutel. »Ein V …«
»Wie Valentina«, ergänzte Sandra.
»Vielen Dank. Darauf wäre ich selbst
nicht gekommen«, ätzte Bergmann und überreichte das Beweisstück einem Kriminaltechniker
für die Laboruntersuchungen.
Sandra sah sich erneut um. Keine
zweieinhalb Meter von ihr entfernt zog einer der Tatortermittler gerade das etwa
30 Zentimeter lange PVC-Rohr aus dem Ackerboden und wickelte es als Asservat für
weitere forensische Untersuchungen in Plastikfolie ein.
»Sie gehört jetzt Ihnen, Frau Doktor«,
hörte Sandra den Chefinspektor hinter ihrem Rücken sagen. Im Umdrehen sah sie noch,
wie er die Gerichtsmedizinerin anstrahlte, als hätte er ihr eben ein wertvolles
Geschenk überreicht.
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