Steirerherz
wir uns noch kurz in Valentinas Zimmer
umsehen?«, setzte er nach. »Ich nehme doch an, sie hat noch eines hier im Haus?«
»Sicher. Florian, bring die Herrschaften
aufi«, forderte Franz junior seinen Bruder auf, während er ein weiteres Mal zur
Apfelschnapsflasche griff. Wie ferngesteuert erhob sich der jüngste Trimmel und
führte die beiden Kriminalbeamten wortlos über die alte Holztreppe in den ersten
Stock hinauf. Aus einem der Zimmer drang das laute Schluchzen einer Frau, das der
Kleine beharrlich ignorierte. Sandra warf Bergmann einen vielsagenden Blick zu.
Die Befragung von Linde Trimmel würde heute wohl nicht mehr stattfinden können,
bestätigte er ihr durch ein angedeutetes Kopfschütteln. Florian streckte seinen
mageren Arm aus und zeigte zur Tür gegenüber. Sandra bedankte sich bei dem Buben.
Noch bevor sie ihm tröstend über den Kopf streicheln konnte, wie sie es eigentlich
vorgehabt hatte, war er schon wieder unterwegs zur Treppe. »Wenn du mich fragst,
steht der Kleine unter Schock und muss dringend behandelt werden«, meinte sie, zu
Bergmann gewandt.
»Wahrscheinlich geht’s der Mutter
noch beschissener«, entgegnete der Chefinspektor und deutete zu jenem Zimmer hinüber,
aus dem noch immer das Schluchzen der Frau drang. Dann öffnete er die Tür zu Valentinas
Reich. Der Raum war aufgeräumt und wirkte mit seinen kahlen, weißen Wänden wesentlich
nüchterner, als Sandra es von einem Jungmädchenzimmer erwartet hätte. Die rosa Vorhänge
mit dem weißen Lilienmuster entsprachen noch am ehesten ihren Vorstellungen. Auf
der Bettwäsche aus pflegeleichtem Seersucker, mit der das schmale Einzelbett in
der Ecke bezogen war, prangten braune, grüne und orangefarbene Ornamente, die weder
zu den Vorhängen noch zu einem zarten Geschöpf wie Valentina passten. Bergmann trat
an den leergeräumten Schreibtisch, der direkt vor dem Fenster stand, und öffnete
die einzige Schublade unter der furnierten Platte. Außer ein paar Stiften, einem
Radiergummi und einem alten Taschenrechner kam nichts weiter zum Vorschein. In dem
antiken zweitürigen Bauernschrank, den Sandra durchsuchte, hing ein weißes, spitzenbesetztes
Kleid, das selbst der zierlichen Valentina zu klein gewesen sein musste. Vielleicht
hatte sie es zuletzt bei ihrer Firmung getragen, spekulierte Sandra. Daneben fand
sie zwei Paar abgetragene Jeans in Größe 27, eine schwarze Hose und eine gelbe Regenjacke
in Größe 34 beziehungsweise 36, in den Fächern bunte Baumwollunterwäsche, Socken,
T-Shirts und einige Sweater in XS und S. Ganz unten – auf dem Boden des Kastens
– standen je ein Paar schwarze Ballerinas, Sportschuhe und grüne Gummistiefel –
allesamt in Größe 37. Außer, dass die Kleidungsstücke sauber und ordentlich aufbewahrt
waren, fiel Sandra nichts auf.
»Besonders oft scheint die Kleine
ja nicht mehr hier gewesen zu sein«, zog Bergmann seine Schlüsse, nachdem Sandra
den Bauernschrank wieder geschlossen hatte. Dann ging er auf die Knie und sah unter
dem Bett nach, was keinerlei weitere Erkenntnisse brachte. Nur, dass in diesem Haus
besonders gründlich geputzt wurde.
»Was ist eigentlich mit Valentinas
Handtasche? Und mit ihrem Handy?«, fragte Sandra.
»Die Kollegen haben nichts dergleichen
gefunden. Wir werden das Handy orten und ein Bewegungsprofil erstellen lassen, sobald
wir wieder in Graz sind. Vielleicht liefern die Verbindungsdaten irgendwelche Hinweise,
die uns zum Täter führen.«
»Ich kümmere mich dann gleich um
den richterlichen Beschluss. Und sonst?«, fragte Sandra.
»Was sonst?«
»Na, konntest du vorhin sonst noch
irgendetwas über das Opfer herausfinden?«
»Nichts, was uns weiterbrächte«,
sagte Bergmann.
»Valentina Trimmel scheint also
das perfekte Mädchen gewesen zu sein …«
»Bis auf die Tatsache, dass sie
in den Augen ihres Vaters den falschen Freund hatte.«
»Das soll mitunter in den besten
Familien vorkommen«, warf Sandra ein.
»Vielleicht hatte unsere Miss Perfect
ja auch noch eine dunkle Seite, von der hier niemand etwas ahnt«, meinte Bergmann.
»Oder über die niemand sprechen
möchte. Wenn es eine solche Seite tatsächlich gegeben hat, werden wir das am ehesten
in ihrem Grazer Dunstkreis herausfinden«, vermutete Sandra.
Bergmann war bereits auf dem Weg
zur Tür. »Lass uns von hier verschwinden«, sagte er und trat hinaus in den Flur.
Eine Viertelstunde später fuhr Sandra von der Packer Bundesstraße auf
die A2 auf, um nach etwa zehnminütiger Fahrt doch noch in
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