Steirerkind
sein! Julius! Dort drüben saß ihr Julius und flirtete mit der halbnackten asiatischen Tänzerin neben sich auf Teufel komm raus. Jetzt tatschte er auch noch ihren makellos straffen Schenkel an! Was sollte sie bloß tun? Hingehen und ihm die Meinung sagen oder möglichst schnell verschwinden, damit er sie gar nicht erst bemerkte?
Zu spät! Er hatte sie entdeckt.
»Scheiße!«, zischte Sandra, was Bergmann wiederum nicht entging, hinter dessen Rücken sie sich eben hatte verstecken wollen.
»Was ist Scheiße?«, fragte er, ohne den Blick von der tanzenden Elena abzuwenden.
»Dort drüben sitzt Julius.«
» Dein Julius?«
Sandra schluckte hart und bejahte, obwohl Julius Czerny gar nicht mehr ihr Freund war.
»Seid ihr hier verabredet oder ist er da, um endlich einmal Spaß zu haben?«, ätzte Bergmann.
»Sehr witzig, Sascha! Von mir aus kann er seinen Spaß gern haben. Lass uns verschwinden«, entschied Sandra.
»Aber er winkt doch gerade so nett zu uns herüber«, meinte Bergmann und winkte mit einem aufgesetzten Lächeln zurück.
»Mir egal! Wir gehen!« Mit versteinerter Miene suchte Sandra den Weg durch die Menge. Gar nichts war ihr egal. Sie liebte Julius noch immer, musste sie sich an dieser Stelle eingestehen. Dass er als Radioreporter zur WM-Eröffnung nach Schladming kommen würde, hätte sie sich denken können, wenn sie denn die schmerzhaften Gedanken an ihn nicht so gut es ging verdrängt hätte.
Draußen blieb sie stehen und atmete die eiskalte Luft tief ein, um sie als dampfende Wolke wieder aus ihrer Lunge zu entlassen.
»Alles okay mit dir?«, fragte Bergmann.
Sandra nickte und setzte sich in Bewegung.
»Du bist aber jetzt nicht ernsthaft sauer auf Julius, oder? Das war ja nur eine professionelle …«
Sandra funkelte ihn böse an.
»Tänzerin, meinte ich. »
»Ich bin nicht sauer.«
»Aber warum bist du dann eben davonlaufen, als wäre der Leibhaftige hinter dir her?«
»Frag bitte nicht weiter.«
»Ach so! Ihr beiden seid gar nicht mehr zusammen«, dämmerte es Bergmann.
Sandra blieb abrupt stehen und sah ihren Partner zornig an.
»Keine Fragen mehr, Sascha!«, warnte sie ihn.
»Das war keine Frage, nur ein logischer Schluss«, entschuldigte sich Bergmann halbherzig.
»Bist du eigentlich nur auf dieser Welt, um mich zu ärgern? Verarschen kann ich mich auch selber!«, schrie Sandra ihn an.
»Ich kann es aber viel besser«, konterte Bergmann.
Wäre sie nicht grundsätzlich gegen Gewalt gewesen, hätte sie ihm spätestens jetzt eine Ohrfeige verpasst. Wie konnte man nur so unsensibel sein? Spürte dieser Idiot nicht, dass er auf ihren Gefühlen herumtrampelte? Und was ging ihn überhaupt ihr Privatleben an? Rein gar nichts! Wutschnaubend stapfte sie weiter, zurück in Richtung Planai. Noch immer waren ungewöhnlich viele, vorwiegend junge Leute unterwegs, einige von ihnen schwer angeheitert. Und immer wieder begegneten ihnen die prominenten Gesichter der Ski-Stars, deren Fans sie als Fotomaske vor dem Gesicht oder, hochgeschoben, über der Haube trugen.
Bergmann sprach Sandra erneut an.
»Wollen wir Lukas Wintersberger noch einen Besuch abstatten, wenn wir schon an der Polar-Bar vorbeimüssen?«, fragte er, als wäre nichts geschehen.
»Von mir aus«, stimmte Sandra zu. Wenigstens hatte er endlich damit aufgehört, sie wegen Julius zu sekkieren.
*
Das kleine Lokal, dessen Form an ein Iglu aus Glas erinnerte, war gesteckt voll. Schon von draußen wummerten ihnen die Bässe der Partymusik entgegen. Wie konnte man sich bei diesem Lärm nur unterhalten? Langsam wurde sie alt, stellte Sandra fest, während sie sich den Weg zur Bar erkämpften. Unglaublich, wie viele Menschen sich hier dicht an dicht drängten. Bestimmt etliche mehr, als bei einer Kontrolle als zulässig durchgingen. Aber irgendwo mussten die Nachtschwärmer unter den WM-Besuchern ja schließlich feiern.
Für die ortsansässigen Gastronomiebetriebe war ein solcher Ansturm nichts Ungewöhnliches, fanden auf der Planai doch alljährlich Nachtslalom-Weltcuprennen statt, die 50.000 Besucher in die knapp 5.000 Seelen zählende Stadtgemeinde lockten. Wie viele Gäste sich an diesem Eröffnungstag in Schladming herumtrieben, vermochte Sandra beim besten Willen nicht einzuschätzen. Hingegen glaubte sie auf Anhieb zu erkennen, welcher der beiden Barkeeper der Sohn des Mordopfers war und tippte prompt auf den falschen. Nicht der große, breitschultrige Mann war Lukas Wintersberger, sondern der kleinere,
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