Steirerkind
schwammige, blasse, der weder seiner Mutter und schon gar nicht dem toten Vater ähnelte.
»Meine Mutter hat es mir schon erzählt!«, brüllte Lukas über die Bar hinweg, nachdem Sandra sich zu erkennen gegeben hatte.
»Mein herzliches Beileid!«, entgegnete sie in ähnlicher Lautstärke. Lukas Wintersberger in diesem Remmidemmi einzuvernehmen war utopisch. Auch hier war es sicher ratsam, einen Termin für den nächsten Tag zu vereinbaren, da er mit dem Partyvolk bis zur Sperrstunde um drei Uhr morgens alle Hände voll zu tun haben würde. Morgen würde der Nachtvogel allerdings etwas früher als sonst aufstehen müssen. Um zehn Uhr wollten ihm die Ermittler einen Besuch abstatten, um ihn zu vernehmen.
»Aber nicht daheim bei der Mutter«, sagte er und schrieb ihnen die Adresse seiner Freundin auf, bei der er in letzter Zeit meistens schlief. »Es stehen keine Namen unten an den Klingelknöpfen. Sie müssen bei Nummer 8 anläuten«, meinte er zum Abschied.
Sandra war heilfroh, dem verqualmten, lauten Lokal zu entkommen. Draußen sah sie auf die Uhr.
»Schon so spät! Wir müssen uns beeilen, sonst können wir die Nacht im Auto verbringen.«
»Lieber im Blauen Engel. Ich wette, die haben gemütliche Hinterzimmer«, meinte Bergmann.
Sandra ignorierte seinen hoffentlich nicht ernst gemeinten Vorschlag. So genau wusste man das bei ihrem Partner aber nie.
»Ich ruf lieber mal diesen Toni aus Tunzendorf an und warne ihn vor, dass wir jetzt aufbrechen. Hoffentlich schläft er noch nicht.«
»Spielverderberin.« Bergmann wickelte einen Kaugummi aus. »Möchtest du auch einen?«
»Nein, danke«, lehnte Sandra ab und schlug den Weg in Richtung Dienstwagen ein, der unweit der Polar-Bar auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion auf sie wartete.
*
»Dort drüben muss es sein«, meinte Sandra, als sie das Licht auf der Anhöhe erblickte. Bei näherer Betrachtung war es ein einziges Fenster, das hell erleuchtet war.
»Ein Bauernhof?«, fragte Bergmann ungläubig.
»Was dachtest du denn, was dich in Tunzendorf erwartet? Hast du etwa mit einem Luxus-Chalet à la Madame Wintersberger gerechnet?«
»Das nicht. Aber mit Bauernhöfen hab ich’s nicht so. Vor allem nicht mit solchen, die Tiere halten.« Bergmann rümpfte die Nase.
»Stinkt dem feinen Städter wohl zu sehr«, stichelte Sandra. »Oder hast du Angst, dass du in die Scheiße trittst?«
»Wäre nicht das erste und sicher nicht das letzte Mal …« Bergmann grinste.
»Na, dann … Worauf warten wir noch?« Sandra schaltete die Autoscheinwerfer aus und stellte den Motor ab.
Bergmann löste seufzend seinen Gurt.
»So ein Mist!«, schimpfte er, als er aus dem Wagen stieg. Wenigstens hatte er diesmal feste Winterschuhe an.
»Du bist so ein Rearbeitl«, kommentierte Sandra sein Verhalten. Die Launen ihres Partners waren manchmal wirklich anstrengend. Die Frau an seiner Seite konnte einem leidtun, wobei es ausgeschlossen war, dass es eine gab, die mehr Zeit mit ihm verbrachte als sie selbst. Da sie das arme Schwein war, das seine Launen tagaus, tagein ertragen musste, traf sie die Realität in voller Härte.
»Was bin ich?«, fragte Bergmann auf dem Weg zur Eingangstür.
»Ein Rearbeitl bist – eine männliche Heulsuse«, übersetzte Sandra ihm den steirischen Ausdruck, als sich die Tür des Bauernhofs öffnete, noch ehe sie angeläutet hatten. Der junge Mann in Jeans und Flanell-Karohemd hatte sie in der Stille hier wohl kommen hören.
»Ihr müssts die Kollegen von der Miriam sein.« Er streckte Sandra seine tellergroße Hand entgegen. »Griaß eich!«
»Entschuldigen Sie bitte, dass wir so spät kommen«, sagte Sandra, »unsere Ermittlungen haben ein wenig länger gedauert als angenommen.« Sein Händedruck war noch fester, als sie es erwartet hatte. Beinahe hätte sie aufgeschrien.
»Kein Problem. Kommts eini. Ich zeig euch gleich euer Zimmer.«
Sandra hoffte inständig, dass sie sich verhört hatte, als Bergmann unvermittelt zur Seite sprang. Im nächsten Moment entdeckte sie die Ursache für sein schreckhaftes Verhalten. Die rothaarige Katze, die auf der Treppenstufe hockte, sah sie an, als würde sie noch überlegen, wohin sie am besten flüchten sollte. Bergmann hielt sich die Nase zu.
»Beeilen Sie sich!«, zischte er durch die Zähne.
Der Jungbauer sah ihn verwundert an.
»Katzenhaarallergie«, erklärte Sandra und lächelte Toni an.
»Ach so. Na, dann kommts. Nix wie aufi«, lächelte ihr kerniger, nicht unattraktiver Gastgeber
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