Steirerkind
Kofferraum und ließ ihn für Bergmanns Gepäck offenstehen.
»Zu kurz«, antwortete sie so knapp wie möglich. Es war viel zu früh, um eine Konversation zu führen. Noch dazu mit diesem gut gelaunten Morgenmenschen, der bereits einen Spaziergang und mindestens ein Telefongespräch hinter sich hatte, einmal abgesehen von dem kurzen Weckruf, der bedauerlicherweise ihr gegolten hatte.
Wortlos holte sie den Eiskratzer aus dem Seitenfach der Fahrertür und machte sich daran, die Scheiben abzuschaben.
Bergmann warf den Kofferraum zu und stieg in den Wagen.
Als Sandra zuletzt über sein Fenster kratzte, sah sie ihn schon wieder telefonieren. Wen um Himmels willen quälte der Mann in aller Herrgottsfrüh mit seinen Anrufen?
Sandra stieg ein und startete den kalten Dieselmotor, der nur widerwillig ansprang, um schließlich angestrengt vor sich hinzustottern. Sie konnte es ihm nur allzu gut nachfühlen.
Während sie losfuhr, wünschte Bergmann jemandem, der ihm offenbar sehr nahe stand, einen zauberhaften Tag. Dann steckte er endlich das Handy weg.
*
Zwei Minuten vor halb acht stellte Sandra den Wagen in der videoüberwachten Tiefgarage jenes Viersterne-Hotels ab, in dem die Mannschaft und die Betreuer des ÖSV während der Alpinen Ski-WM untergebracht waren. Der Schranken hatte sich für den Passat erst geöffnet, nachdem die Fahrerin dem privaten Security-Mann ihren LKA-Ausweis gezeigt hatte.
Die Ermittler beeilten sich, den Fahrstuhl zu erreichen, um noch einigermaßen pünktlich zu ihrem Termin ins Restaurant zu gelangen. Dort herrschte trotz der frühen Uhrzeit bereits reger Betrieb. Die meisten Gesichter hier kannte Sandra aus den Medien, gehörten sie doch den besten Skifahrerinnen und Skifahrern Österreichs, wenngleich manche von ihnen noch etwas zerknittert wirkten. Der Frauenanteil im Raum war eindeutig höher, fiel Sandra auf. Vermutlich, weil in wenigen Stunden der Super-G der Damen als erstes WM-Rennen auf dem Programm stand. Ein paar Herren hatten sich womöglich noch einmal die Bettdecke über den Kopf gezogen, um ein wenig länger zu schlafen, hing Sandra den eigenen Wunschgedanken nach.
Bergmann deutete zu einem der Tische am Fenster, wo Tobias Autischer sein Müsli löffelte. Der Rennläufer bot ihnen Platz an und erkundigte sich, ob sie mit ihm frühstücken wollten.
»Für mich nur Kaffee«, meinte Bergmann und zog die Tasse vor sich näher heran, während Tobias Autischer ihm die Thermoskanne mit Kaffee hinüberschob.
Sandra griff in das Holzkästchen, das in der Mitte des Tisches stand, und wählte unter all den Teebeuteln einen Darjeeling aus, den sie in ihre Tasse hängte und mit heißem Wasser aus der zweiten Thermoskanne übergoss.
Ihr Frühstück würden sie später, vor ihrem nächsten Termin mit den Eltern von Gregor Fitzner einnehmen, hatte Bergmann auf der Fahrt hierher beschlossen. Schließlich waren sie nicht auf Winterurlaub, sondern im Einsatz, hatte er gemeint, als hätte die Gefahr bestanden, beides zu verwechseln. Sandra war das nur recht. Ihr Magen war sowieso daran gewöhnt, erst einige Stunden nach dem Aufstehen feste Nahrung zu sich zu nehmen. Sie war nicht nur ein Morgen-, sondern auch ein Frühstücksmuffel. Einmal abgesehen von einem späten Brunch, für den sie sich an arbeitsfreien Tagen gern viel Zeit nahm. Am liebsten zusammen mit Julius. Verdammt! Schon wieder drängte er sich in ihre Gedanken!
»Sie und Herr Wintersberger sind am frühen Morgen des 24. Dezember im Streit auseinandergegangen?«, kam Bergmann direkt zur Sache.
Der Spitzenathlet ließ den Müslilöffel in seiner Hand sinken, sodass eine Himbeere zurück in die Schüssel kullerte.
»Was denn für ein Streit?« Tobias Autischer wirkte überrascht.
»Sie haben nicht miteinander gestritten, weil sie seiner Meinung nach zu viel getrunken hatten?«, fragte Bergmann nach.
»Ach so, das meinen Sie. Ja, ich hatte ein bisschen zu viel intus. Aber als Streit würde ich das nicht bezeichnen.«
»Wollte er sie deshalb nicht aus dem Kader werfen?«
»Das hat er doch nicht ernst gemeint. Er war doch selbst angeheitert.«
»Er hatte weniger als 0,5 Promille Alkohol im Blut.«
»Ach so? Keine Ahnung, wie viel ich hatte …« Tobias Autischer sah Bergmann mit blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben, und griff nach seinem Orangensaft.
Er hätte glatt Julius’ jüngerer Bruder sein können, fiel Sandra auf einmal die Ähnlichkeit mit ihrem Exfreund auf. Wieso hatte sie das nicht
Weitere Kostenlose Bücher